Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide, Mittwoch, 09.04.2025

Intime Einblicke ins "liebe Leben"

Hans-Helmut Decker-Voigt liest aus seiner Autobiografie, die 2026 erscheint

Uelzen – „Jedes meiner Manuskripte geht noch vor dem Lektorat durch die Hände meiner Frau.“ Das sagt Hans-Helmut Decker-Voigt, am Samstagabend im Neuen Schauspielhaus, kurz bevor er aus dem Kapitel seiner im finalen Entstehungsprozess befindlichen Autobiographie „Mein liebes Leben“ vorliest, das mit dem Namen seiner Gattin überschrieben ist: „Christine“.

Sie sitzt in der letzten Reihe und ist gespannt auf das, was’ folgen ‘soll. Denn diesen Teil des Werks Ihres Mannes hat sie noch nicht zu Gesicht, geschweige denn in die Finger bekommen, wie sie im Anschluss verrät. Decker-Voigt beruhigt sie von der Bühne aus, wo er im Sessel sitzt: „Mach dir keine Sorgen.”

Er lässt sein Publikum teilhaben am Prozess vom Kennenlernen hin zur Liebe. Fräulein Jakob sei einst eine seiner sechs Studentinnen an der Querflöte gewesen. „Ich habe nicht in ihre Augen geschaut, sondern irgendwo hin. Ich war nicht bei der Sache, sondern affektbesessen“, so der Professor für Musiktherapie und Autor, der am: 17. März seinen 80. Geburtstag feiern durfte (AZ berichtete).

Er habe damals eine naive:  Unbefangenheit gelebt, als; er kontrolliert habe, wo bei Fräulein Jakob das Zwerchfell sitze. „In welcher Zeit leben wir heute? Heute wäre so etwas übergriffig, strafrechtlich verfolgbar“ Und er sei dankbar, „so alt geworden zu sein.“ Ganz zum Schluss, bevor er zum Umtrunk in den Vorraum einlädt, dankt er seiner Frau dafür, dass er all die Jahre so viele Wochen weg sein durfte. Und er schließt mit einem Zitat von Peter Alexander: „Der hat gesagt: „Meine Heimat ist dort, wo meine Frau ist‘ Das teile ich mit ihm“.

Mit seiner Christine fuhr er einst auch ganz langsam spaßeshalber über die Reeperbahn. - nur um zu schauen, wie die Reaktionen auf seinen „dicken Schlitten” dort- ausfallen - würden. In Uelzen, wo Hans-Helmut Decker-Voigt mit 24 Jahren zum Direktor der Musikschule für Stadt und Landkreis ernannt worden war, habe ihm der damalige Oberkreisdirektor Berger gesagt, dass die Leute vom „Zuhälterauto” sprechen würden.

Das ist eine der Episoden, die die rund 40 Zuhörer im Neuen Schauspielhaus zu hören bekommen. Decker-Voigt nennt es eine „fast intime Zusammenstellung“ Zu vielen Gästen hat er eine Beziehung. Die Lesung sei ein Novum: „Sonst lese ich immer nur aus fertigen Büchern.” Er freue sich über das Interesse an-seinem Liebesleben, sagt er in Anspielung auf den Titel ,,Mein liebes Leben“ - also bewusst anders geschrieben.

Es wird herrlich anzüglich, als er darüber spricht, wie er selbst gezeugt wurde; Der Vater, ein Pfarrer, war 1944 als Offizier im Krieg, durfte für wenige Tage aus Ungarn auf Urlaub nach Wien. In der Sakristei einer katholischen Kirche sei es auf einem tiefroten Plüschsofa passiert. „Gottes Wille fiel mit dem Eisprung zusammen“, so Decker-Voigt. Seine Mutter habe diese Geschichte immer sehr gerne erzählt. Sein Vater wurde indes drei Tage vor der Geburt hingerichtet. Ja, er sei später mehrfach in besagter Kirche gewesen, die habe aber anders ausgesehen. Und das Sofa gab es nicht mehr. „Aber unsere Fantasie spielte eine gewisse Rolle“, gibt der AZ-Kolumnist gerne zu.

Die Lesung gewährt intime Einblicke in Stationen eines bewegten Lebens: Es geht um eine nur kurze Zeit an öffentlichen Schulen, um einen Abgang ohne Abschluss, um eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie Göttingen, wo ein Suizidversuch mit einer, Überdosis Medikamente aufgearbeitet wurde, um die Sonderbegabtenprüfung und die Ernennung zum Professor mit nur 31 Jahren, die zu „Vernichtungsversuchen im Internet“ geführt habe. „Ich wurde ein rotes Tuch in meiner Familie, und ich verstehe das sogar“, so Decker-Voigt.

Deutlich lustiger ist da die Episode vom ersten Kindergartentag, an dem Hans-Helmut den Uli vors Schienenbein trat - mit seinem stahlummantelten Bein. „Das war eine Waffe“, so der Allenbosteler, der auch von seinem „Triple-Vornamen “Hans Heinrich-Helmut“ samt Michael und Hermann dahinter erzählt, von einer. viel zu langen Unterschrift.

Das Uelzener Finanzamt habe ihm unlängst mitgeteilt, dass man ihm: den Beruf des ;  Schriftstellers nun absprechen  müsse, weil er damit einfach viel zu wenig verdiene. Man werte das fortan als Liebhaberei. Damit kann er gut leben. Decker-Voigts Autobiografie soll zur Frankfurter Buchmesse 2026 erscheinen – als dritter Teil der Roman-Trilogie „Das Pfarrhaus“.

LARS BECKER