Kultur.Netz - Zeitschrift der ver.di -  #1 2021

Hans-Helmut Decker-Voigt


Ein besonderes Stück Zeitgeschichte


Eine Kolumne kann ihren eigenen Charme haben. 1499 Kolumnen, jeden Dienstag pünktlich und über alle Hindernisse hinweg der Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide geliefert, müssen dazu noch Selbstbewusstsein besitzen, wenn sie inmitten der chamäleon-gleichen Medienwelt bestehen und unangefochten 40 Jahre am Platz bleiben wollen.


Das ist umso wichtiger, als ihre Inhalte sich erlauben, Familienfama, Begegnungen, Beobachtetes, Ärgernisse, Irrtümer, Faux-Pax’s, oft, oft von ironischen Randbemerkungen flankiert, in Kurzform so zu inszenieren, dass man ihnen nicht entkommt.
Da kann in der Kolumne „Anfall von Romantik“ Mörike im Verein mit den Vögeln Autobahnlärm und Traktoren übertönen.
Das können Hühner weinen über zu teure Impfgebühren.
Da wird ein falsch interpretiertes Ultraschallbaby zum Satelliten.
Da kommen hungrige Studenten auf die Idee, die grausamen Kochkünste ihrer Zimmerwirtinnen zum Genuss zu erheben.
Da spielen sich Eltern beim Kindergeburtstag ihrer Sprösslinge halb zu Tode.
Da macht man sich Gedanken, warum eine Sanitär-Warteschleife Mozarts Nachtmusik spielt und ein Heiratsinstitut Schiwagos Lara-Motiv.
Oder darüber, ob GOTTES Schöpfungs-Marathon schuld daran ist, dass Mistkäfer vollkommener sind als Menschen.
Oder ob eine zugeflogene Taube auf der Kanzel die Predigt aufmöbeln kann.
Und die Hasch-Pflanze im Erntedankstrauß unterm Altar mehr bewirken wird als die Möhren und Gurken.
Weil man eineinhalbtausend Kolumnen aus 40 Jahren nicht hintereinander weg lesen sollte, hat HHDV sie vorsortiert. Aber auch dann genießt man sie durch Herauspicken mehr. So entdeckt man auch besser die kleinen Sprachschöpfungen des Autors: Missbrauchsanweisungen. Be-gutachten, nicht be-schlechtachten. Brand-aktualisieren.
„Corona“ als Thema kann erst dieses Jahr durch HHDVs Kopf gegangen sein und hat gleich Kolumnen über das Luft-Anhalten, über die ursprünglichen Wertschätzungen des Begriffs „Krone“, über selbstbestimmtes Handeln oder über verschwundene Münder ausgelöst. Aber das Schmunzeln verebbt diesmal, denn der Musiktherapeut, Wissenschaftler und Romanautor ist auch ein Freund mit viel Menschenkenntnis und Taktgefühl.
Seine Lieblingsheilige ist Theresa von Avila, weil sie ihn weg von Selbstdarstellung und hin zu so mancher Pointe geführt hat. Sie möge ihn weiter so verlässlich dabei begleiten, den 10. Aktenband mit Kolumnen zu füllen.

Eva Korhammer