Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide, 17. September 2014
Wahre Worte aus kleinen Kästen
Von Anna Petersen
Hans-Helmut Decker-Voigt schreibt über das Leben im Pfarrhaus und seine Schattenseiten
Allenbostel. „Jetzt kriegen sie keinen Schreck", spricht Hans-Helmut Decker-Voigt noch eine schnelle Warnung aus. Dann öffnet er die Tür zu seinem „Materialraum". Der Hinweis kam zurecht: Hier türmen sich Bücher und CDs neben vergilbten Dokumenten, an der Decke baumeln mit Klebestreifen fixierte Ausdrucke verschiedener Buchcover. Wo der Professor für Musiktherapie auch seine AZ-Kolumnen verfasst, ist ein neues literarisches Großprojekt entstanden: „Das Pfarrhaus" — der erste Teil einer Roman-Trilogie, die bis 2016 insgesamt sechs Bände umfassen soll.
Darin steigt der Allenbostler, der selbst in einem Celler Pfarrhaus aufgewachsen ist, ein in die Kulturgeschichte evangelischer Pfarrhäuser am Beispiel der eigenen Familie. Da ist von Heiratspolitik die Rede, von Familiendynastien und einem gläsernen Pfarrhaus, das auch Schatten wirft. Schon früh, erinnert sich Decker-Voigt, habe er sich etwa für die verwandtschaftlichen Beziehungen der Pfarrer-Familien interessiert. Was viele nicht wissen: Bereits seit zwölf Jahren schreibt der Autor an seinem Werk, vor 40 Jahren begann die Materialsichtung. Denn Nahrung für die Familiensaga gibt es zuhauf in dem kleinen Speicher in Allenbostel: Briefe, zerfleddertes Buchwerk vergangener Jahrhunderte bis hin zu den Tagebüchern der Haushälterin seiner Großeltern —die Protagonisten des ersten Teils.
Decker-Voigt fischt eine kleine Schachtel — kaum größer als ein Mobiltelefon — aus dem
Materialfundus und öffnet sie. Zum Vorschein kommen handgeschriebene Botschaften seiner Großeltern — liebevolle Zeilen, Verzeihungsbitten, Texte, aus denen auch Zweifel sprechen. Ob es ihm unangenehm war, die persönlichen Schriftwechsel zu lesen? Klare Antwort: „Für mich überhaupt nicht, weil ich beide Personen sehr liebe."
Sein Großvater war ein Widerstandskämpfer im Dritten Reich, ein charismatischer Mann, beschreibt Decker-Voigt seinen Vorfahren, der eigentlich Schauspieler hätte werden wollen, nicht Pfarrer und all jene Spannungsfelder erlebte, die sein Enkel in seinen Büchern beschreibt: jene nämlich zwischen christlichem und psychologischem Denken, dem Glaube an Hitler und dem Widerstand bis hin zur Untreue. „Wenn etwas schief ging im gläsernen Pfarrhaus, musste es verheimlicht werden", weiß DeckerVoigt. Das zeige sich „drastisch" in der Handlung seines Buches.
Was der Autor auf mehr als 1800 Seiten schreibt, basiert auf Fakten. „Und natürlich ist es auch eine Geschichte der Gegend", bemerkt er, denn Ausgangspunkt der Familiensaga ist das Holdenstedter Pfarrhaus. Von dort aus führen die Handlungsstränge bis ins Baltikum, gehen vom 19. und 20. Jahrhundert zurück bis ins Jahr 1507.
Dabei soll es aber nicht bleiben: Decker-Voigt steckt bereits in der Vorbereitung zu den beiden weiteren Teilen, die in spätestens zwei Jahren fertig sein sollen. Vorzugsweise zwischen 21 und 2 Uhr nachts recherchiert und schreibt er an seinen Büchern. Das Letzte mündet in den wilden 1968ern, verrät der Professor, „wo alles den Bach runter geht, nur nicht das Pfarrhaus." Das bleibe existent „mit einer ständigen Veränderung und Anpassung an die Bedürfnisse einer christlichen Gemeinde."