„Schwarz ist keine Farbe…“
Das Kind fragte mich jetzt das gleiche, was ich als Kind gefragt hatte: „Wieso haben Traueranzeigen immer schwarze Farbe?“
„Schwarz ist keine Farbe, Junge, Schwarz ist Lichtlosigkeit und Farbe braucht Licht!“. Das lernte ich natürlich, aber verstand es nicht. Denn in meinem ersten eigenen Aquarell-Tuschkasten aus weißgelbem Blech – Heiligabend 1953 - gab es in der Nachbarschaft neben Blau das Töpfchen mit Schwarz. Farben also. Meine Kunstlehrerin damals und Google heute irren also ebenso wie die „Phyto-Resonanz-Therapien“ („Gartentherapien“), die da Schwarz als allgemein wachstumshemmend, krankheitsfördernd statt genesungsverstärkend sieht. Siehe die Farbe der Todesanzeigen.
In der Tat lernte ich Schwarz in seiner mehrfachen Symbolik zunächst durch das Astloch im Bretterzaun zum Friedhof nebenan kennen. Dank dieses Astlochs konnten wir Beerdigungen life beobachten. Wen immer wir unter den Trauergästen und im Trauerzug auf dem Kieker hatten: Schwarze Kleider, Anzüge, Hüte. Schwarz. Das viele Schwarz wurde nur vom Weiß des Beffchens auf dem Talar des Geistlichen und der Holzfarbe des Sarges unterbrochen, so dass das Schwarz noch mehr betont wurde.
Hochzeiten und Taufen waren beliebter im Astloch-Kino: Da war viel Weißes – auch keine Farbe – aber ebenfalls viel Schwarzes. Kleines Schwarzes, langes Schwarzes, Zylinder. Jedenfalls 1953 - bevor es danach bunter wurde. Sehr viel bunter. Auf der letzten Beerdigung, an der ich teilnahm, mischte sich
Vollschwarz mit Holzfällerhemd und Jeans (die teuren, die mit Löchern) ebenso wie bei der Heirat von Ulrike (ihrer dritten).
Schwarz zweifach - für Trauerfeier und für Fest, für Endlichkeit und Vitalität? Da haben wir es wieder, das philosophische Moment: Auch im scheinbar Gegensätzlichen liegt Ähnlichkeit begründet.
Endgültig begriff ich die Mehrfachbedeutung von Schwarz durch Dr. Hörig, Physiker bei der Klavierfabrik Steinweg in Braunschweig, Gott hab ihn selig. Er erklärte mir den Zusammenhang zwischen Mistkäfern und Konzertflügeln, wie ihm das seine Chemiker für Klavierlack erklärt hatten.
Auf der Suche nach einer Lackfarbe für die edlen Tasteninstrumente, die an unsere Emotionen in Richtung Ehrfurcht, Festgefühl, Erwartungsfreude appellieren sollen, stießen die Forscher auf den Mistkäfer, dessen Panzer auch im trübsten Dämmerlicht perfektionistisch schwarzdunkelblau strahlt.
Ein Teil der Konsistenzformeln der Rückenpanzer von Mistkäfern sei, so Dr. Hörig, in die weltbesten Klavierlacke eingeflossen.
Es kann der Bösendorfer, der Steinway (verwandt mit dem Braunschweiger Steinweg, Gott hab auch ihn selig), der Bechstein sein, dessen Schwarz uns gleich Himmlisches erhoffen lässt. Mindestens stumme Eleganz.
Was die Aussage bestätigt, dass Extreme sich überraschend ähneln können. Nicht nur in der Politik.