Fast eine Gesellschaftskolumne
Wir standen uns seit langer Zeit gegenüber, unser früherer Oberkreisdirektor Dr. Elster und seine Frau. Da er lange Person des öffentlichen Lebens war, kann ich auch öffentlich über ein Detail des Wiedersehens berichten.
Ich vermisste etwas an ihm, was ich ihm auch sagte: Mir fehlte die feine goldene Kette an seinem Revers, die dann in der Brusttasche verschwand, in der vormals bei Herren das Tüchlein steckte.
„Das war meine Uhr. Seit ich pensioniert bin, brauche ich keine mehr.“
Im „Paulus“ vorher, dem Oratorium von Mendelssohn-Bartholdy waren wir uns nicht begegnet. Da wichen etwaige gesellschaftliche Kontaktbedürfnisse ganz schnell der Bewunderung und der Ergriffenheit, die das Zeitempfinden schwinden ließ. Wie in Dr. Elstners zeitloser Lebensgestaltung.
So knapp und kurz der Name des heimischen Dirigenten ist – „Matz“ - so knapp sind auch manche Zeitstrecken seines Dirigierens von den beiden Chören, dem Orchester, die drei Solisten includierend. Aber was für ein Output bei so knappem Input! Eine große Aufführung, die die Herzen öffnete, die Geister durchlüftete – und eben das Zeitempfinden mitnahm. Mit nach außen, in den Abend, die Nacht, den nächsten Morgen.
Das Wort „Profan“ fiel mir nach dem Oratorium ein. Denn diese Aufführung war profan. In einem wörtlichen Bedeutungssinn:
Das „Fan“ im „Profanen“ meint im Lateinischen (fanum) den Tempel, das Heiligtum. Zusammen mit dem „Pro“ vor dem „Fanum“ bedeutet es: „außerhalb“ vom Tempel.
Das Pro-Fane an der Aufführung letzte Woche im Tempel St. Marien: Sie wirkte auch außerhalb des Raumes nach. Das Profane nahm ganze Portionen von Zeitgefühl weg, begleitete nachhause oder in ein Restaurant, in die Nacht und in den nächsten Morgen.
Wie bei denen, die keine Uhren mehr tragen. Wie gut, wenn sie in Partnerschaft leben und die Dame daran erinnert, dass auch zeitlose Musik einen genau festgesetzten Anfang hat. Ohne Zeitfestsetzung könnten wir hinterher keine Zeitlosigkeit empfinden.
11.November 2025