Ein wahres Märchen

In einem meiner alten Märchenbücher, so alt, dass nicht mal das Erscheinungsdatum darin steht, nur der Mädchenname meiner Mutter, ist er abgebildet. Der König.

Der König, den ich heute meine, ist sehr lebendig. Sein Kopf ist ebenso rund wie der König im Märchenbuch. Sein Gesicht ebenso freundlich und seine Art des Umgangs mit Untertanen ist sehr beliebt. Sie lassen sich sehr gerne von ihm regieren. Genauer: Frisieren. Und – wenn sie haben - den Bart scheren.

Er trug tatsächlich Königswürden, mein Friseurmeister. Peter Strosik war nicht einmal, sondern mehrfach König. Schützenkönig von Ebstorf.

Mein König ist moderner, weshalb er keine Kuriere oder berittene Boten schickt, sondern eine Mail:

„Es ist soweit: Wir gehen in Ruhestand.“

So wie ich jetzt kurz über Peter Strosik schreibe, komponierte Gioachino Rossini eine lange Oper: „Der Barbier von Sevilla“. Eine wilde Verwirrungsgeschichte um die Liebe, in der der Barbier eine wichtige Vermittlungsrolle einnahm. Bei Mozart kommt der „Figaro“ auch nicht ohne Liebe aus.

Auch mit dem Gegenteil von Liebe, also Gewalttätigem, hatten Friseure zu tun.

Im „Barbierjungen von Segringen“ droht ein arroganter, herrischer Offizier während der Rasur dem Lehrling mit dem Tod, wenn er auch nur einen Kratzer abkriege. Der Lehrling mit dem Rasiermesser in der Hand reagiert cool: „Bevor Euer Ehren den Säbel zieht, habe ich Eure Kehle durchtrennt.“

König Peter Strosik hingegen liebt die Menschen. Die Gemächer seiner Königin liegen gegenüber und sie residiert in einem eigenen Königreich. Nur für Damen. Der Damensalon. Verbunden sind Herren mit den Damen durch den gemeinsamen Eingangsbereich.

Die „Wir-Form“ in der Mail von König Strosik ist nicht nur ganz majestätisch, sondern partnerschaftlich. Seine Königin geht auch in Ruhestand.

Übrigens müssen Könige und Königinnen in ihrem Beruf äußerst diskret sein, Geheimnisse wahren, evtl. hochdiplomatisch wirken. In den Tagebüchern meines Großvaters stellt der die Geistlichen, Diplomaten und Friseure auf eine Stufe.

Ein bisschen weiterregieren wollen König und seine Königin auch weiter. Aus Leidenschaft. In Teilzeit. Zwei Tage lang. Bei der Königin muss man sich weiter anmelden. Beim König nicht. Keine Voranmeldung für Audienzen!

Guten Unruhestand wünscht ein Untertan!

1. Juli 2025