Vermutete Kaufhallen-Wahrheit
Die Stadt, las ich jetzt spät und aus der Ferne, wolle am Baukonzept der Investoren doch noch mal was ändern. An jenem Baukonzept, welches die Ruine der Kaufhalle in der Lüneburger Straße in eine moderne Burg wandeln soll. Die Investorengruppe war kreativ. Sie legte vor. Sie legte nach. Alles schien den Wandel vom Schandfleck zum Attraktor einzuleiten.
Nun doch – noch - nicht. Änderungswünsche, murmelt die Hansestadt und die Investorengruppe legt Schweigen ein.
Wir unterschätzen die Stadt. Sie verfolgt – vermute ich nach der Lektüre eines neuen Buches über Ästhetik - weit höhere Pläne: Uelzen setzt an zur Überholung der Konkurrenz-Hanse in Lüneburg. Genauer: Lüneburg hat sich den berühmten Leuphana-Bau am Eingang zur Innenstadt mit ihren bezaubernden Treppengiebelhäusern gekrallt, der bekanntlich mehrere interne Wettbewerbe um die schönste Hässlichkeit gewann.
Mit dem Stehenlassen der Ruine Kaufhalle wird Uelzen Lüneburg besiegen, weil durch einen Schandfleck mitten in einer City die Gegensätzlichkeit betont wird - zum schließlich auch hübschen Uelzener-Fachwerkrestbestand. Unsere menschliche Wahrnehmung wird schneller auf das Schöne sensibilisiert. Wir lernten ja: Wir können Weiß nur durch den Gegensatz Schwarz erkennen und umgekehrt. Schönes nur durch Hässliches, Harmonie durch Kakophonie usw.
Nicht erst Joseph Beuys fing damit an. Schon Leonardo da Vinci warf in seinen Entwürfen scheinbar profane, banale Motive auf kleinen Zettelchen mit
genialen mechanischen Maschinen - und menschlichen Körperteilen zusammen: Kindergesichter mit Skelettausschnitten usw. (s. aktuelle Ausstellung im Louvre anlässlich der 500 Jahre nach da Vincis Tod).
Der Schandfleck Kaufhalle ist der Stadt wahrscheinlich auch von einem Außengutachter- und beraterteam als wirksamer empfohlen worden, um die benachbarten Schönheiten und lebendigen Geschäftswelten noch mehr zu betonen, als wenn aus der Ruine moderne Burg wird.
Außerdem: Durch die blinden Fensterscheibenreste der Kaufhalle sieht man nicht, was dahinter ist. Das macht grundsätzlicher neugieriger, als wenn sich etwas klar im Licht des Tages und Trubels zeigt. Das betont schon das Glaubensbekenntnis (das christliche), wenn es Gott als Schöpfer des Sichtbaren und Unsichtbaren preist.
Die Hansestadt Uelzen und ihre Baumanager sind nicht Gott, nicht mal Herr Liebeskind, der diesen Haufen von trübem Grau unfertiger Architektur namens Leuphana vor den Toren Lüneburgs gebaut hat. Aber unser Uelzen ist wahrscheinlich raffinierter, weil es das sichtbar Hässliche nicht an den Rand der Stadt baut, sondern mittendrin belässt.
Es wäre pure Unterstellung, zu behaupten, dass sich Uelzen mit dem Aufnehmen der Konkurrenz des Hässlichen zu Lüneburg nur rächen will. Weil ein Teil der früheren Uelzener Straße Lüneburgs nun Universitätsstraße heißt.
Nein, Uelzen kennt sich aus in Sachen Bauästhetik.