Gefährlicher Weihnachtsengel
Ein Engel neigte den blondgelockten Kopf zur Seite, schlug die Augen zu Rico auf und sagte: „Kommst du mit mir in mein Zimmer?“ Der Engel heißt Finja, ist knapp fünf Jahre alt, Rico 1,90 m lang und Hauptkommissar.
Finja durfte jetzt mit Hannas älterer Schwester auf den Weihnachtsmarkt und entdeckte ein handbemaltes Spanschächtelchen mit einem Engelmotiv darauf, das von Raffael hätte gemalt werden können. Aber der ist schon länger vestorben.
„Die Schachtel möchte ich kaufen“, sagte Finja zu der Budenbesitzerin und tippte auf Schachtel samt Engel.
„Gerne - kostet fünf Euro“, sagte die Budenbesitzerin. Finja neigte ihren Kopf, sah von unten nach oben und sagte: „Ich habe aber nur drei.“
Die Budenbesitzerin ging seelisch in die Knie wie Rico und Finja bekam die Schachtel herüber und hinunter gereicht.
Es liegt nahe, sich Zukunftsvisionen auszumalen, wie die schulische Zukunft von Finja verläuft. Oder die Tanzstunde. Oder noch ein paar Jährchen später, wenn sie Team-Kollegen und Vorgesetzte haben würde. Und Kolleginnen…
Ich sehe Finja miserable Klassenarbeiten schreiben und unzensiert zurückkriegen mit kostenlosem Nachhilfe-Angebot. Ich sehe ihre Welt von Freundinnen, Jungen- und Männerwelten seelisch in die Knie gehen. Wie Rico, wie die Budenbesitzerin.
Man könnte jetzt über die Gabe mancher Mitmenschen nachsinnen, Schönheit mit Klugheit zu verbinden und beides zu instrumentalisieren. Oder wir gehen gleich zurück zur Schlange mit dem Apfel im Paradies und den komplexen Folgen, die das für die Evas mit ihren Adams in nachfolgenden Welten hat.
Oder aber wir genießen, wo uns schmelzende Blicke treffen und etwas in uns schmilzt, was Preis-Ware-Verhältnisse angeht. Solch Genuss ergibt sich gerade auf Weihnachtsmärkten beim Blick in die vielzitierten sehnsüchtigen Kindergesichter. Auch lohnt der Blick in die Gesichter von Jugendlichen und Erwachsenen, so cool oder verknorrt diese auch wirken mögen.
Angesichts der Verhandlungserfolge von den Finjas dieser Welt, den kleinen und eben auch großen, den männlichen und sonstwie geschlechtlichen dieser Welt, könnten wir überlegen, ob wir sie nicht in den diplomatischen Dienst in Krisengebiete bitten. In politische Ämter…
„Erwachsener“ heißt englisch: „adult“. In guten Wörterbüchern steht auch die Verbindung zu to be adult - „verfälscht sein“. Speziell in einer Adventszeit in chaotischen Zeiten könnten wir uns an die eigene kindliche Unverfälschtheit erinnern. Sie kann lebenslang nach außen Wirkkraft entwickeln. Sagt der Entwicklungspsychologe Daniel Stern.
17. Dezember 2024