Beitrag und Nachtrag: Reinhard Schamuhn

Das erinnere ich auch, was ich von der Talkshow für den NDR las – über den Gründer des heutigen Neuen Schauspielhauses Reinhard Schamuhn.

„Spinner“, „Alkohol“, Abstürze, „verletzend sein könnend“. Das stimmte alles.

Und mich freute alles, was als Ausgleich für das „verrückte Huhn“ genannt wurde. So nannte, plakatierte er sich zu gerne und lange. Länger als den „Intendanten“, der schon wieder eine Portion Selbstironie mit transportierte.

Z.B. die Bezeichnung „Aktionskünstler“, die er sich selbst manchmal gerne gab und die ihm in Hannover auch von der überregionalen Presse verliehen wurde. Wir Gewöhnlichen haben auch immer das Bedürfnis, Außergewöhnliches benennen zu können. Ihm einen Namen zu geben. Zuzuordnen. Um die Ordnung umso mehr sicherzustellen, wenn diese auf den Kopf gestellt wird.

Das geschah oft durch Reinhard Schamuhn. Das wollte er. Durch seine Person, durch das, was er tönte, wenn er sprach. Das geschah durch seine eigenen Talkshows, die er – noch unten, wo heute im NSH Getränkeausschank ist – mit von ihm ernannten Promis veranstaltete.

Beunruhigung, ab und an gar Bedrohendes (z.B. die Verletzung, die Takt-Losigkeit) war Schamuhns Lust. Solches lässt sich von uns Gewöhnlichen immer abschwächen, indem wir ihm einen Namen geben.

Im Zuge der 68-er Theater, die wir damals Jungen inszenierten, gab es diesen Namen schnell:

Aktionskünstler.

Alkohol, Drogen, Verletzung, Skandalumwittertes, Abstürze, Frauen – es sind Merkmale, die die meisten Aktionskünstler von damals und die wenigen echten von heute auswiesen und ausweisen. Sonst wären sie keine Aktionskünstler. Sondern Künstler für die „Bildungsbürger“. Ein Begriff, den der Philosoph Theodor W. Adorno prägte.

Einer der Promis unter ihnen, Joseph Heinrich Beuys, lehrte von seiner Professur aus in Düsseldorf die Kunst des Gestaltens zwischen Sinn und Unsinn. Er war Maler, Zeichner, Bildhauer u.a.

Das alles war Reinhard Schamuhn auch. Er stellte seine Bilder aus, ganz normale, mit Rahmen, Farbtönen, Motiven, sogar Erkennbares und Wiederkennbares. Halbreliefs, die heute noch im NSH hängen. Ich fand einige Bilder gut, wirklich sehr gut. „Echte Kunst“. Schamuhn ließ mich den Aktionskünstler in ihm würdigen, indem er den meinigen in mir anregte: Ich wickelte ihn bei einer seiner Vernissagen in mehrere Rollen Toilettenpapier. Er inspirierte nicht nur mich. Viele. Zu einem bisschen Ver-rücken des Gewohnten. Wir haben es alle in uns. Ein bisschen jedenfalls. Die Lust am Verrücken des eigenen Inneren. Hin zum „Verrückten“. Aber allermeistens lassen wir das andere machen. In Stellvertretung von uns.

Auffallend Gelingendes, Originelles, wirklich Kreatives (nochmal lat.: crescere = wachsen lassen) übertreiben wir, damit es nachhallt.

Die Gründung des „Kreativer Speichers an der Rosenmauer“ geschah mit offiziellem Briefkopf von Reinhard Schamuhns Speicherabsender - mit einem „Kuratorium“. Allein schon die Auswahl der Kuratoren war verrückt. Damals alles Männer. Heute ist der Vorstand zur Hälfte mit Frauen besetzt. Etwas verrückt. Im Schamuhns Brieffuß dann seine Kuratoren. Da gab es einen (echten) Prinzen von Hohenzollern (live dabei in der Gründungsversammlung), der Verrücktes unterstützte. Leider starb der bald darauf. Dann der seinerzeit prominente Uelzener Strafverteidiger Dr. Dietrich Fuchs, dessen Plädoyers oft in nicht nur dieser Zeitung zitiert wurde, sondern auch in anderen. Weil er juristische Argumente entwickelte, die vielen verrückt vorkamen, weil verrücktgewordene Mandanten freikamen. Und mich, Professor für ein „Orchideendach“ der Wissenschaft in Hamburg. Und Orchideen sind immer exotisch.

Angesichts des heutigen Erscheinungsbildes seiner Kulturstätte würde Schamuhn sich im Grabe umdrehen. Ich vermute: Hochzufrieden.

08. Oktober 2024