Von alten und neuen Äbtissinnen
Wir haben eine neue. Äbtissin, meine ich. In Ebstorf. Ganz anders als jene in Kloster Wienhausen Anfang letztes Jahrhundert. Vor der war auch der letzte Regierende Herzog Ernst August bange. Die Dame redete ihm zu viel, zu heftig, zu giftig.
Ohnehin war die Beziehung zwischen Äbtissinnen und Landesherren von Natur aus gespannt. Nicht wegen Mann und Frau und so. Vielmehr hatten Äbtissinnen und Landesherren rangmäßig auf absoluter Augenhöhe miteinander umzugehen.
Einmal platzte Ernst Augusts psychischer Kragen, als die Wienhäuser Äbtissin ihn wieder überfiel, kaum dass er die Kutsche verlassen hatte.
„Glauben Sie doch nicht alles, Frau Äbtissin!“, fuhr er sie an. „Wenn man mir in Hannover berichten würde, Frau Äbtissin hätte Zwillinge geboren, würde ich auch nur die Hälfte glauben.“
Angela Geschonke, unsere neue Äbtissin in Ebstorf, bringt mehr als zwei Kinder mit. Drei. Plus vier Enkelkindern. Die erhofft sie sich auch in Kloster zu Besuch. Nicht gerade klostertypisch.
Die Neue bringt scheinbar extreme Alleinstellungsmerkmale mit ins Amt: Sie hat Cheferfahrung in der Lenkung von Teams und Touristen. Außerdem heißt sie mit Vornamen Angela (wir wissen ja: lat. = Engel). Engel und Tourismus – was für eine Zukunft für ein Kloster!
Das Kloster Ebstorf hat jährlich 8000 Besucher. Das Panzermuseum in Munster hat 100 000. Weiß die Neue. Sie will es zwar nicht mit Panzern aufnehmen, aber die 8000 steigern. Also das tun, was auch erfolgreiche Äbtissinnen und Äbte immer schon machten: Werbung. Früher geschah das (auch) durch Ansammlung und Ausstellung vieler wundertätiger Knochen und Knöchelchen berühmter selig oder heilig Gesprochener. Neben all den sozialen, kulturellen, wissenschaftsfördernden und geistlichen Aufgabenstellungen. Die Knöchelchen sind nicht mehr, dafür alles andere mehr denn je.
Die neue Äbtissin verkörpert und vergeistigt eine neue Generation. Das geht auch mit 62.
Was denn das sei? Eine Äbtissin? Und was denn damit so auf sie so zukäme? Die Kinder fragten leicht beunruhigt und ihre Mutter und Oma erläutert, lädt ein. Ihr Enkel Noah machte sich im Internet kundig über die neue Arbeit seiner Großmutter. Sah Fotos von der bisherigen Äbtissin und ihrer Damen in Festtracht. Schwarz-weiß.
„Oma Pinguin“ taufte er sie.
Die Neue ist eine auf Augenhöhe. Mit jedem Gegenüber. Und eine, die in diese Nebelsuppe unserer schweren Gegenwart dringend nötige Leichtigkeit mitbringt. Sie kann ansteckend - lachen. Und wirkt ähnlich, wie eine ganz andere noch lebende Äbtissin. Die zeigte bei Hitze ihre Kirche in Sandalen. Mit rotlackierten Fußnägeln.
Das Geistliche und Weltliche wurde am Sonntag ausschließlich von Frauenpersönlichkeiten repräsentiert. Lokal, Regional, vom Land. Von allen Redestellen aus: Sopran – und Altstimmen. Schon nötig bei soviel Zitaten von Männern des Neuen und anderer Testamente.
Die Neue plant unter vielem anderen auch den Ausbau einer Pilger-Herberge auf dem vorhandenen Pilgerweg. Da gibt es dann auch Chancen, als Mann in`s Kloster zu kommen.
17. September 2024