Von Hochzeiten und Scheidungen

Alexander und seine Frau waren jetzt eingeladen auf einer Hochzeitsfeier. Einer goldenen. Mit verschiedenen Erkenntnisfortschritten.

Alexanders Jubelpaar-Bekannte hatten damals geheiratet und zwar noch kirchlich. Mit 32 Gästen. Heute würde – sagten übereinstimmend der Chefkoch, der Wirt und eine Pastorin - mit mindestens 80 Gästen gefeiert.

Die Gesellschaft heute bestand aus weitgehend geschiedenen Gästen. Oder Paaren in aktueller Trennung. Oder in eheloser Lebenspartnerschaft. Oder in befristeter „Lebensabschnittpartnerschaft“. Oder in brandneuer Liebesbeziehung. Alles Menschen, die sich nicht mehr oder weitab vom kirchlichen Trauungsritual lieben.

War die Kirche uralt, so war der aktuelle Pastor von heute hochmodern. Denn der Geistliche war auch geschieden. Zweimal sogar.

Was Alexander nun während der Feier beschäftigte und er dies mit dem Jubelpaar teilte: Wie viele der Gäste doch der Kirche den Rücken samt Seele und Geist gekehrt hatten – und nur zuliebe des Goldenen Hochzeitspaares angereist waren. Weswegen dieses auch ernsthaft überlegt hatte, gar nicht zu feiern.

Mehrere kamen erst nach der Andacht in der Kirche, dafür pünktlich zum Festessen. Selbstgeschossenes Wildschwein. Erdbeeren und Eis.      

Die Austrittswelle baut sich auf. Selbst dort, wo die Geistlichkeit motivierend und überzeugend sein kann. Wie durchaus im hiesigen Kirchenkreis mit seiner Geistlichkeit und (weiblicher) Leitung.

Die Kirche hatte schon weit härtere Kritiker als heute:

„Das heut`ge Christentum

Ist leider schlecht bestellt:

Die meisten Christen in der Welt

Sind laulichte Laodizäer

Und aufgeblasne Pharisäer. (…)

Falscher Heuchler Ebenbild

Können Sodomsäpfel heißen,

die mit Unflat angefüllt

Und von außen herrlich gleißen…“

Woher die Kritik stammt? Textdichter: Unbekannt. Der Komponist hingegen sehr: Johann Sebastian Bach integrierte den Text in seine Kantate Nr. 179 („Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“).

Es gab unter den Gästen der Goldenen Hochzeit einige Psychologen und andere Statistikerfahrene. Die prognostizierten, dass es bis 2050 gar keine Goldenen Hochzeiten mehr geben wird.

27. August 2024