Mann und Traktor

Wilhelm in Groß Liedern hat von meiner Sehnsucht gelesen und sie nun erfüllt: Einmal einen richtigen Traktor fahren zu dürfen.

Die Sehnsucht danach wuchs in all den Jahren, in denen ich Auto(s) fuhr. Richtige Schlitten: Mercedes (170D, 190er), später Jeep, Cabrio, Jaguar, der mit der Katze vorne drauf. Dann wieder Sterne.

Was macht der Mensch nicht alles, wenn er nicht gut laufen kann. Die Psychologie ordnet es dem Kompensieren zu. Aber das reicht nicht. Autofahren ist auch pure Lust. Jedoch nie mit Traktorfahren zu vergleichen.

Auf dem Höhepunkt unerfüllter Sehnsucht kaufte ich einen Traktor. Sehr schön, mit Vorderlader, allem Drum und Dran und aufladbaren Akkus. 40 cm hoch. Er durchpflügte die Räume innen, transportierte ganze Bücherhügel und durchpflügte höheres Gras im Garten.

Offiziell kaufte ich den für die Enkel und probiere vor deren jeweiligem Besuch, ob alles klappt.

Sehnsüchte ziehen meist intensive Gefühlswelten hinter sich her. Ob es Sehnsucht nach Liebe, nach Vermögen, nach Schönheit oder Gott ist. Oder Sehnsucht nach einem richtigen Traktor unter dem Hintern. Ja, Sehnsucht und Traktor weisen auch vom Etymologischen, vom Wortstamm her, eine direkte Verwandtschaft auf. Denn Traktor kommt vom (lat.) trahere und dies heißt – ziehen. Wie jener der Sehnsucht folgende Herzschmerz.

Den viel weiter gehenderen psychologischen Zusammenhang zwischen meiner Sehnsucht und einem Traktor las ich jetzt auf dem nebenstehenden Schild in einem Verkaufsstand neben dem Betrieb Glavke in der Breitachklamm bei Oberstdorf.

Wilhelm in Groß Liedern erlöste meine Sehnsucht und ich fuhr seinen Traktor. Den kleinsten, den er hat. Und den ältesten. Ein echter Oldtimer. Wie ich. Ein Zweitakter. Wie weiland meine zwei ersten Autos. Goggomobil. Dann Lloyd.

Wie beschreibt man erfüllte Sehnsüchte umfassend? Obwohl ich früher 320 PS im PKW durch Westeuropa fuhr, war das Gefühl, Traktor zu fahren, eben so wie das Schild in der Breitachklamm.

Es gibt ein Spaßlied, das den schwäbischen Bauern beschreibt, der einmal in seinem Leben in Stuttgart in die Oper geht. Und als nach der Ouvertüre der Vorhang sich wieder schloss und der Applaus begann, weinte er vor Bewegtheit und verließ die Oper. Er wusste nicht, dass nach der Ouvertüre das Wesentliche erst kam.

Philosophie und Theologie waren früher mal vereint. Jedenfalls in der Annahme, dass das ganze menschliche Leben ähnlich verläuft: Wir halten für das Wesentliche, was nur kleines Vorspiel ist.

PS: Das Schild vom Mann und Traktor fotografierte ich in Südbayern. Die kennen Ines nicht. Die sitzt in unserem Dorf auch auf ihrem Traktor. Und viele andere Bäuerinnen auch.