Von Straßenschäden und Hl. Geist

Ich lese die Uhlenköper–Kolumne fast immer. Digital auch im Ausland. Daher vermute ich, dass einer der Uhlenköper sich vor und über Pfingsten in seinem Auto aufmachte, um im Südkreis eine ganz bestimmte Straße zu befahren. Vermutlich hin und her. Dieser Uhlenköper – schrieb er - genießt diese Straße mit Schäden, Rissen in der Decke, Absenkungen unter dem Asphalt.

Die Ruckelei erinnert den Uhlenköper an geliebten Toskana-Urlaub. Da gab es nur solche Straßen.

Mich erinnert sowas wieder an Isabel. Das war die Frau des Schriftstellers Manfred Hausmann (1898 – 1984). Was dem Uhlenköper die schadhafte Straße ist Isabel der Staubsauger gewesen. Wenn Isabel mit dem Staub fertig war, schaltete sie den Sauger aber nicht aus. Sie setzte sich neben den Sauger, zog die Knie an sich, legte den Kopf darauf, schloss die Augen und begann. Zu dösen.

Dösen wird auch als Subgruppe mancher Meditationstechniken gesehen. Manchmal sogar oberhalb.

Friederike, meine Tochter, ahmte Uhlenköper und Isabel Hausmann nicht etwa nur nach. Sie entwickelte ihre eigene Liebe. Zum Haarfön. Nach dem Trocknen ihrer Haare lässt sie den Fön am Haken weiter fönen. Ihre Patentante Gudrun macht es ebenso. Dem Fönen frönen.

Ansonsten machen die beiden das gleiche wie Isabel Hausmann und Uhlenköper. Sich zu erinnern. Mehr oder weniger bewusst. Allerdings nennt Friederike ihren Fön-Zustand auch Trance, weil sie ein Buch darüber gelesen hat. Zu meiner Freude. Denn das Buch ist von mir. Fön und Staubsauger kommen jedoch nicht darin vor.

Schließlich Christine. Sie bekam zum Muttertag eine Vogelbox von den Töchtern erhalten. Kein Käfig wie Franz Kafka ihn erwähnt. Also „ein Käfig ging einen Vogel suchen“ (Zitat). Christines Vogelbox ist auch ein Käfig. Aber in ihm sind keine Vögel. Nur deren Stimmen. Digital gesammelt. Und ebenso wiederholbar.

Vor dem sitzt Christine nun Pfingsten über, legt den Finger an den Mund und gibt jenes „Psss“ von sich, das die Umgebung zum Stillstand zwingt. Mindestens zum ganz leisen Auftreten. Sie lehnt den Kopf nach dem Psss zurück, schließt die Augen und ist weg. Obwohl sie da ist.

Isabel, Christine, Friederike, Gudrun – beim Hören zeigen ihre Gesichter eine Andacht wie beim Weihnachtsoratorium von J.S. Bach, dessen Komponieren bekanntlich auch vom pfingstlichen Hl. Geist abhängig war.

Alle solche auffälligen Verhaltensweisen hängen mit unserer frühesten Lebenszeit zusammen. Im Uterus, im Mutterleib, diesem zumeist sichersten Lebensraum, wurden wir geprägt von lauten Dauergeräuschen und Tönen. Blutrauschen in den Arterien: 55 Dezibel. Magen-Darm-Trakt der Mutter 85 Dezibel. Nach der Geburt ist unsere Schmerzgrenze bei 130.

Die Firma, in der Norbert Schultz in Uelzen arbeitet, ist scharf auf löcherige Straßen. Weil sie Straßenbau betreibt. Feinste Belage. Wo einen nur die Reifengeräusche an den Mutterleib erinnern. Oder die Toskana.

21. Mai 2024