Von Rednerpult und Redepult
Als ich in den 1980ern damit anfing, bat mich Gabi zu einem Gespräch. Ich nenne sie nur hier Gabi. Gabi war die Juristin unserer Hochschule. Oberregierungsrätin und wenn sie rief, eilten wir.
Mit „damit“ meinte sie „gendern“. Das ist die Aufgabe, unsere Rede- und Schriftsprache nicht nur Männliches spiegeln zu lassen. Auch das Weibliche. Und über solch „Binäres“ hinaus überhaupt die diversen geschlechtlichen Identitäten.
Sie schätze mich, sagte Gabi in dem Gespräch damals. Eben deshalb riete sie mir, mich in unserer Verwaltung nicht weiter lächerlich zu machen. Erste Mitarbeiter (sie sagte nicht MitarbeiterInnen) lächelten schon länger. Wegen meines „Innen“. Mit dem großen „I“. Liebe KollegInnen, liebe StudentInnen. Und so.
Ich erläuterte ihr, dass ich in meiner Szene (soziale Berufe, Therapie-Berufe, psychologische Berufe usw.) weitaus überwiegend mit Frauen zu tun habe. Deren Hinweise nähme ich ernst, dass sie sich in der Masse der männlichen Bezeichnungen unserer Sprache diskriminiert, mindestens nicht vertreten fühlten. „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. „Lehrerzimmer“. „Schülerrat“. Eben 1980er.
Das heute in Stellenanzeigen selbstverständliche „m/w/d“ (männlich, weiblich, divers) zeigte sich noch nicht am öffentlichen Horizont.
Ich sagte Gabi, dass ich mich ungern lächerlich machen würde. Ich lebte ab damals zweisprachig (Englisch nicht mitgerechnet). Vorübergehend. Mit meinen „Innen“. Auch schon wieder veraltet.
Die Debatte um die Diskriminierung von Frauen und anderer Geschlechtszugehörigkeiten durch unsere Sprache nahm ICE-Tempo an, dann Jet-Tempo. Zeitweise Kampf-Jet-Tempo.
Unsere Oberregierungsrätin und Juristin musste umlernen. Das Bundesverfassungsgericht sah auch ein, dass es nicht nur ein, nicht nur zwei, sondern mehr Geschlechteridentitäten gebe und die Sprache dies spiegeln solle. Anno 2021 bekräftigte der Rat für deutsche Rechtschreibung als Ziel geschlechtergerechtere Sprache. Allerdings ohne Empfehlung für Sonderzeichen wie Sternchen, Unterstriche...
Bei ihrer Pensionierung sagte Gabi mir den Satz, den die meisten Männer gerne hören. Ich auch. Ich hätte recht gehabt. Damals …Sie lesen ja, dass ich hier nicht gendere. Ein Grund: Die meisten der rund 320 Zeitungen tun es nicht. Darunter unsere AZ, die CZ in Celle, die LZ in Lüneburg usw. Wir Deutschen schwanken eben auch darin.
Ich gendere schon, aber inkonsequent. Ein Grund: Ich erhole mich - wie von allem Wichtigen - auch gerne mal vom Gendern. Kürzlich habe ich in der Eile geschlechtergerechterer Sprache einen neuen Begriff geschaffen. Versehentlich. „Krankenschwester:innen“.
Wenn Gabi mich gehört hätte, dann hätte sie sich fast totgelacht. Wie Christine. Gott sei Dank aber leben beide.
30. April 2024