Beffchenträger und andere
Schlimm, was jetzt aus evangelischer Ecke zu Tage kommt, nachdem vorher in andere Ecken geleuchtet wurde. Und es gibt nichts zu vertuschen.
Eine Anekdote von einem bekannteren (evangelischen) Theologen, die dieser Mensch heutzutage und gerade jetzt nie zu erzählen wagen würde, ist diese. Er ist schon länger tot. Und belangt werden könnten nur Nacherzähler wie ich.
„Wenn es wahr sein sollte, dass die Engel geschlechtslos sind – dann gehe ich doch lieber in die Hölle. Da bin ich nicht so allein.“
Ich arbeitete sie jetzt ein in den Schluss meiner Roman-Trilogie „Das Pfarrhaus“. In aktueller Verbindung mit dem Schlimmen aus der anderen Ecke der anderen Sorte Christen.
Nichts ist bei der jetzigen Beleuchtung zum Lachen, aber solch Anekdote zeigt: Es gibt für das Themenfeld um Libido/ Eros/Sexualität, also um das Thema sexueller Missbrauch oder Übergriff, keine sichere Ecke oder gar ein Zentrum. Der Mensch ist moralisch-ethisch sein größter Gefährder und er erfand die digitalen Medien, mit denen er Gefährdungen anheizt.
Anfang des Jahrtausends leitete ich ein Projekt des Hamburger Vereins „Dunkelziffer e.V.“ gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Intitiator war der STERN-Redakteur Klaus Meyer-Andersen. Er hatte als Undercover-Journalist Schlimmes gesucht, gefunden und aus den Ecken ins Licht gezogen. Ich arbeitete dort etwa nicht, weil ich selbst Opfererfahrungen gemacht hätte, einer Ziffer oder Dunkelziffer angehörte.
Ich arbeitete aus der Dankbarkeit heraus, eine Hellziffer zu sein. Trotz 4,5 Jahren, die ich bis zum 13. Lebensjahr in Sanatorien, Erholungsheimen und Kliniken verbracht hatte. Kliniken und Heime sind eben Orte, an denen das Berühren und Berührtwerden und des damit verbundenen Gefühlshaushaltes, keine kleine Nebenrolle spielen. In unserem direkten Hamburger Umfeld sind es derzeit 12 Menschen, die innerhalb der Medizin mit ihrem Behandler aus ihrer Liebe Lebenspartnerschaften gestalteten.
Die standen und stehen zu ihrer Art Liebe. Missbrauch, Übergriff sind „Unart der Liebe“.
Aber: Hochschulen, an denen Berührung in der Ausbildung wichtige Anteile sind, gefährden: Musikhochschulen, Kunsthochschulen, Schauspielstudiengänge. Kein Stimmtraining, kein richtiger Fingersatz, keine Skizze, keine Tanzbewegungen ohne Berührungsmomente. Und woanders missbraucht man ohne körperliche Berührung: mit Wörtern.
Ich bin eine Hellziffer. Und deshalb stört mich eine unserer Tageszeitungen (nicht die, die Sie gerade lesen, eine aus München). Sie zeigt eine Halbseite mit dem Foto eines Talarausschnitts mit Beffchen. Geschlechtsneutrales Bild?
Neutral? Das ist keine/r von uns. Ab jetzt denken alle, ich auch, beim nächsten Beffchen – „daran“. Die Folge also: Pauschalierung, Symbolbesetzung. Das können wir so mit Trägern von Orden machen, mit Trägern von Ornaten, mit weißen Kitteln.
Der liebe Gott (der in unserem Cortex) hat auch Differenzierung erschaffen. Parallel zum Vertuschen.
6. Februar 2024