Streikgelüste
Wer ist gerade hierzulande nicht mit Landwirten in Kontakt. Oder – wie ich – in freundschaftlichen, nachbarschaftlichen Beziehungen? Aber nicht nur deshalb unterstütze ich den Streik und damit seine Ziele.
Weitestgehend jedenfalls. Nicht total. Z.B. nicht, wenn mit Streik persönliche Freiheitsberaubung Dritter verbunden ist (wie dem Robert Habeck auf der Fähre geschah, aber nicht in Niedersachsen).
Der Teil, in dem ich den Streik ambivalent sehe, ist auch leidenschaftlich. Denn ich bin neidisch. Ich würde auch so gerne streiken. Als Kolumnist hier. Überhaupt als Publizist! Als Schriftsteller. Als schreibender Mensch, Jawohl, ich bin streiklüstern geworden, habe nur kein so auffälliges Gefährt wie die Bauern. Als Student habe ich es 1968/69 nur zur Organisation von Demos geschafft. Keine Streiks.
Wir öffentlich schreibende Menschen stellen auch Nahrung her, Unterhalt für den Menschen. Unterhalt steckt auch in „Unterhaltung“. Etwas eigentlich sehr Ernstes. Gerade in Krisen blühen gute Witze, Geschichten, Filme und Infos sind Basis.
Wenn wir Schreibende alle streiken würden, dann würde das die Öffentlichkeit, das Volk, uns also, mindestens so treffen wie der Bauernstreik. Denn nicht einmal Streiks würden dem Volk bekannt sein. Nichts. Kein Verein, keine Partei.
Wenn ich streiken würde – ich hätte einen riesengroßen Kreis von Mitstreitern!
Nur wie vereinigt man sich? Heinrich Böll sprach bei unserer Gründung des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) 1970 von der „Einigkeit der Einzelgänger“. Die Formel trifft durchaus auch für Bauern und Bäuerinnen zu. Die, die ich kenne.
Zurück zu meinen Streikgelüsten: Die heutige Dachgewerkschaft Ver.di hat den Deutschen Journalistenverband, den Deutschen Schriftstellerverband u.v.a. unter ihrem Dach und vertritt sie gut. Aber Streiks? Wir Einzelgänger haben keinerlei spektakuläre Streikinstrumente wie Traktoren.
Ich bin (mir gegenüber) ganz ehrlich: Eigentlich neide ich den Bauern primär, dass sie so wunderbar spektakulär streiken. Hoch oben auf den grünen Wagen moderner Landwirtschaft.
Natürlich würde es bei mir und uns Schreibende auch um Geld gehen. Bei freien Mitarbeitern heißt das „Honorar“. Was sich sofort als weniger vornehm erweist, wenn man weiß, dass solch „Ehrensold“ früher nicht zur Ehre des Produzenten (Dichter, Komponist, Bildhauer, Maler) bezahlt wurde. Sondern das Geschaffene zur Ehre des Geldgebers diente (Fürsten, Bischöfen, Chefs aller Sorten und ihren Damen).
„Honorar“ bei Zeitungen hat einen noch ernüchternderen Namen: „Zeilengeld“.
Ich wünsche unseren Bauern Erfolg, weil dann unsere Nahrungsproduktion (etwas) gesicherter bleibt. Hierzulande Kartoffeln, Rüben, Mais…und nicht vergessen: Auch wir Schreibende produzieren Unterhalt.
9. Januar 2024