Vom vergessenen Weihnachtsbaum

Weil derzeit an so viel gedacht werden muss, wird auch mehr vergessen. Dazu eine (nach)erzählte Geschichte von Heinz Steguweit.

Eigentlich handelt sie von einem Käpt`n Kranewitter, der einen Berufsanfänger an Bord nahm. Heimathafen Hamburg. Ziel Rio und Buenos Aires. Zeit: Sonnenwende, also vor Weihnachten. Nautischer Ort: Wendekreis des Steinbocks. Der himmelweite Atlantik ruhiger als ein Kirchhof und glatt wie Babypopos.

Auslöser: Der Fluch des Käpt‘ns „Verdammt, nu ham wir doch den Weihnachtsbaum vergessen!“.

Dann folgten das Ausspeien des Priems und klatschende Ohrfeigen für den Berufsanfänger. Wo der Käpt`n hinlangte, roch es gleich nach Salbe.

„Kein Hl. Abend“, befahl der Käpt`n, „ohne Baum wird nicht gefeiert!“ Schließlich hätte nicht nur er den Tannenbaum vergessen, sondern wir alle.

Dann das Mirakel in der Hl. Nacht unter dem Sternzeichen des Steinbocks: Der Segelmast stand mit seinen breiten Bäumen da wie ein riesiger Weihnachtsbaum. An alle Ecken und Kanten hatten sich Flämmchen draufgesetzt. Elmsfeuer.

Nicht nur Käpt`n Kronawitter habe geheult. Und nachher Weihnachtsessen befohlen. Auch „O du fröhliche“ gab es auf der Quietschkommode. Nach der Story des neurotizistisch reagierenden Käpt`ns noch Lexikalisches:

Elmsfeuer sind durch elektrische Ladungen entstehende Lichtphänomene (Elektrometeore). Bei Google finden sich Fotos, die z.B. Piloten der Royal Air Force von Elmsfeuern machten. Und die von den Kommando-Brücken heutiger Containerschiffe gefilmt wurden.

Namensgeber war der später heiliggesprochene Bischof Erasmus von Antiochia (240 – 303 n. Christi Geburt, eine Geburt, die erst genauer im 4. Jahrhundert in der Zeitschiene geschätzt wurde). Angerufen wurde der Bischof von Seeleuten in Seenöten. Nicht nur weil ihnen der Weihnachtsbaum fehlte.

Es gäbe in dieser Weihnachtszeit weit mehr zum Weinen als die Rührungstränen des Käpt`ns. Es ist zum Weinen, wo wir uns bekriegen. Im Land von Bethlehem, in der Ukraine, in immer mehr Gesellschaftsteilen, in Familien. Es reicht, wenn wir (z.B. im Gefängnisturm der Burg Bodenteich) lesen, womit man sich bekriegte. Mit Handwaffen (Streitaxt, Schwert, Lanze) und Distanzwaffen (von der Armbrust bis zu heutigen Drohnen) – und dabei die schärfste Waffe von uns mitdenken: Kriegserklärende Wörter aus unseren Mündern und Schreibmaschinen. Glücklicherweise lassen sich unsere Wörter auch friedensstiftend nutzen.

Was ich mir und den „Machern“ wie Lesern dieser Zeitung zum Countdown vor dem Fest wünsche: kleine Elmsfeuer in uns! Also anderes, erfreulich Überraschenderes finden als das, was wir glauben vergessen oder verloren zu haben.

19. Dezember 2023