Berater

Nehmen wir z.B.: Herrn H…

Er ist mein Apotheker und erst während seiner (hilfreichen) Beratung begriff ich, dass er im Disstress war. Er vor fünf Minuten erst in seine Apotheke gekommen war, um diese nach fünf Minuten wieder verlassen zu wollen. Aber dazwischen nahm er das Telefon ab, als es klingelte. Meinetwegen.

Glauben Sie, ich habe etwas von seinem Dis-Stress gemerkt? Nichts. Erst als er nach meinem Dank für die Beratung beiläufig sagte, dass er am Streik der Apothekerinnen und Apotheker teilnehme und noch vorbereite – für morgen früh! –, dachte ich mir seinen Disstress.

Nehmen wir jemand ganz anderen. Derjenige sagt vor meiner Frage, dass er erst auf den Button einer digitalen Uhr drücken müsse. Denn die Beratung würde nach einzelnen Minuten bezahlt. Ja, bis vor kurzem sei das noch nicht gewesen. Ich wisse ja, Kostensteigerungen und so…

Ich wusste und bezahlte wohl die Erwähnung der Kostensteigerung auch mit.

Drittes Beispiel, das auch kein so tolles ist: „Hat das nicht Zeit? Wir haben Personalausfall wegen Influenza.“ Die Stimme klang tatsächlich gehetzt. Auf Beratung, selbst die kürzeste, verzichte ich, weil ich selbst oft berate und weiß, dass gehetzte Beratung gar keine ist, sondern das Letzte.

Das letzte Beispiel ist gar nicht das Letzte. Schon der Vorname ist besonders. Enrico. Von dem erhoffte ich nur kurze Beratung (Geräusch unter der Motorhaube), aber es wurde eine längere. Gar nicht wegen des Geräusches, dessentwegen ich die Abreise morgen verschieben müsste. Nein, ich könnte damit fahren. Nur im Stand hörbar. Enrico zeigte mir die Klangquelle und ich fühlte mich nicht nur gut beraten, sondern geradezu gütig: Lob für das schon vom Alter her würdige Automobil. Nicht der Hauch davon, mir neue Modelle anzupreisen, was ja im Handel verständlich wäre.

Nein, es war wie gute Paarberatung. Da rät man dem Paar auch nicht zu neuen Modellen.

Soviel die Beispiele für Beratung. So`ne. Und solche.

Nun glauben wir alle, zu wissen, was Berater und Beratungen sind. Aber entscheidend ist, dass die wenigsten Berater mit „Berater“ firmieren. Sie firmieren mit dem, was vor dem „Berater“ steht. Oder dahinter.

Also Verkaufsberater, Steuerberater, Paarberater, Berater für Gesundheit, Berufsberater.

Beim Letzteren ist spannend, wieviel Ratsuchende in Berater-Berufe drängen: Coaching, Supervision. Projektbezogen. Prozessbezogen.

Im „Handbuch für Synonyme“ (sachverwandte Wörter) steht nach „Beraten“: Durchsprechen, Darlegen, Abhandeln, Beratschlagen.

Im Wahrig (Lexikon für Sprachlehre) folgt nach „Be-ratung“ sofort „Be-rauben“. Vielleicht, weil viel Beratenwerden zu viel Zeit raubt. Oder dem Berater…

14. November 2023