Italienisches Konzert
Eigentlich liebe ich es besonders, das „Italienische Konzert“ für Cembalo von Johann Sebastian Bach. Aber seit 9 Uhr 30 heute stehe ich auf Kriegsfuß mit ihm. Genauer auf Kriegsohren.
Am Gardasee in dem Apartment unter uns setzt jemand eine dieser Höllenmaschinen in Gang, die vom Namen her Musik wiedergeben sollen. In Wahrheit diesen rhythmischen Lärm, den meine Wissenschaft mit dem mütterlichen Herzschlag im Uterus in Verbindung setzt. Hingegen bringt dieser rhythmische Höllenlärm den Ruhe suchenden Urlauber in die Nähe von notfallpsychiatrisch zu behandelnden Affektdurchbrüchen. Und in Mordphantasien gegen notorische Lärmmusikbelästiger.
Die Lautsprecher der Höllenmaschine unter uns zwingen unsere Haut zum widerwilligsten Mitschwingen. Wir fliehen aus der Wohnung von Eva und Johannes ganz nach unten an die Küste. Gutes Antipasti und Rose`. Es gibt Schlimmeres.
Z.B. die Rückkehr: Da ist die Höllenmaschine ausgetauscht durch eine Life-Band mit zwei Djemben, einem Xylophon und deutlich mehr italienischem Temperament als instrumentaler Percussion-Tonkunst. Statt Gesang: Johlen der Männer und Kreischen der Frauen.
Offen hörbar ein Fest für jemanden. Gefühlt mit 30 Gästen.
Wahrnehmungspsychologisch ertragen wir Belastungen eher in einem ohnehin belastenden Umfeld. In einem irdischen Paradies wie dem Gardasee erwarten wir Paradiesisches. Aber doch nicht akustische Vergewaltigung!
Ich fliehe erst in Ohropax, was bei entsprechendem Schalldruck auch kaum nützt, weil wir - s.o. - immer auch mit der Haut hören. Dann suche ich mein Heil in Kurzvorlesungen für Christine über eben den wissenschaftlichen Zusammenhang zum Krach da unten.
Ohropax oder meine Vorlesungskanäle – nichts hält das Wachstum meiner destruktiven Aggression auf und ich denke an Klopfen unten, Betteln. Ich denke an 112: (auch hier) Polizei.
Da! Unten stehen zwei dieser Krachmacherinnen und winken zu unserem Balkon hoch. Mit einem Teller Kuchen und einer Flasche Rotwein (MOLCI IN CUOR). Sie zeigen zu uns hoch. Strahlen unter schwarzen langen Haaren. Eine Halbminute später stehen sie vor unserer Tür. Christine und ich singen - nach Überprüfung, dass da ein Geburtstagskind steht - auf Deutsch „Viel Glück und viel Segen…“ (zweistimmig). Das Kind (38 Jahre alt geworden) ist tief gerührt. Wir auch. Weil die beiden zu diesem Geburtstagkanon zu tanzen anfangen.
Reizende Menschen hier in reizender Umgebung! Übrigens nur fünf.
Die Lehr von der Geschichte: J.S. Bach komponierte sein Werk zwar italienisch inspiriert, aber trotzdem seiner Kontrapunkt-Technik folgend (Kontrapunkt: Gegenläufiges aufeinander zu laufend und in Harmonien treffend). Eben: Italienisches Konzert.
01. November 2023