Vom Blumengießen auf Friedhöfen
Aus Kreisen, die auf Friedhöfen arbeiten (Gärtner, Kirchenvorständen), höre ich, dass er im Sommer besonders mühsam ist. Der Umgang mit schwierigen Angehörigen, wenn diese die Gräber ihrer Lieben bewässern.
Städtische Friedhöfe sind naturgemäß schneller übervoll, so dass die Einebnung alter Gräber sich zugunsten neuer Nutzung durch neue Verstorbene aufzwängt - mitsamt neuen Angehörigen, die in der Regel (noch) fleißiger Gräber pflegen als ich es mit meinen Eltern und Großeltern tue. Bzw. deren Gräbern.
Charlie, ein Friedhofsgärtner, beklagt, was Angehörige bei ihm beklagen: Frisch mit Wurzeln eingepflanzte Blumen würden ertränkt durch die nachbarschaftlichen Bewässerungsflutungen. Besonders rücksichtlos sei Bewässerung durch Gießkannen mit breitspektraler Tülle oder gar Sprenganlagen bei. Da würden immer beim eigenen Grab fremde Wasserspuren entdeckt. Übergriffigkeit. Grenzverletzung. Besonders schlimm Begonien. Die dürfen nur von unten begossen werden, nie von oben.
Problematisch auch die Angehörigen, wenn zusätzlich zur Grabfläche noch die Fläche für eine Bankaufstellung gemietet sei. Was bedeutet, dass sich Trauernde bei gutem Wetter stundenlang darauf aufhalten. Besonders in Städten, wo die öffentlichen Parkanlagen ohne Gräber weit weg vom Friedhof liegen. Der Friedhof also Gartenersatz ist, Parkanlage, Oase, Therapie für die Lebenden.
Da dürfe nämlich, solange die Bank besetzt ist, gar nicht gewässert werden.
Ich dachte an Herrn Augustin, Gott hab ihn selig, unseren Friedhofsgärtner. Dessen Nachfolger wollte ich so gerne werden, weil er mehrfach Schützenkönig war. Die Orden, die Schärpen, das Dschingadarassabum und Trara, also das Gegenteil von Beerdigungen.
Jener Herr Augustin vertrat die Meinung: Die Art und Weise, wie sich Angehörige über die Grenzen ihrer Angehörigen – Gräber hinweg streiten, ob nun wegen nachlässiger Über-Bewässerung (Bsp. Begonien) oder Unterbewässerung (Trockenheit, Dürre) – dies immer auch Rückschlüsse zulasse auf die Art und Weise des Umgangs der Angehörigen mit ihren Verstorbenen zu deren Lebzeiten.
Überhaupt: Friedhofskenner wüssten, wie unfriedlich es auf Friedhöfen zugehen kann. Wie im Leben der Lebenden.
19. September 2023