Idylle und Realität

Wir feierten ein Dorffest, Sommerfest. Es war jeder eingeladen, der hier wohnt. Minus - plus 140 Einwohner. Eher plus, weil wir gut sind in der Kinder- bzw. Enkelproduktion.

Städter denken bei „Landleben“ daran, dass dieses schon die halbe Miete bei Miete oder Bauland sei. Ich weiß auch um Städter, die schon lange auf dem Land leben. Sie siedelten auch um wegen des Gemeinschaftserlebens: Feuerwehr, Theatergruppe, Chörchen. Dorfgemeinschaft eben.

Aber Idylle pur war es bei uns nicht. Wir sind im Gespräch realitätsnäher gewesen als in manchem Parlament. Beispielsweise unser Tisch behandelte folgende Themen: Wozu Mister Musk eigentlich seine 8 Satelliten um die Erde kreisen lässt. Oder die Sinngebung für den Not-OP-Wagen für angefahrene Wölfe. Oder die Polizei- und Feuerwehreinsätze für Igel, die im Schornstein eingeklemmt sind.

Oder warum das Wort „Führer“-Schein bei manchen von uns immer noch so heißt. Überhaupt manche der neuen Führer:innen! Oder die elende Bürokratie um die Re-Zertifizierung unserer Kartoffel. Oder die Bürokratie der Amtskirchen, die 60 Cent vom Spendeneuro für ihre Verwaltungen braucht.

Nur kurz gab es auch das Thema Frauen anlässlich einer Parteivorsitzenden. „Wieso lang“. „Die ist doch kurz und breit“. Aber solch sexistisches Thema verschwand gleich wieder. Weil drei taffe Frauenpersönlichkeiten mit am Tisch saßen.

Also keine Idylle pur bei uns. Vielmehr eine mit Realitätsbezug. Woanders gibt es sie wohl, die fieberhafte Suche nach Idylle, d.h. der Rückzug ins Private.

Wissenschaftsorientiertes gefällig?

Herr Hurrelmann ist einer, der uns, unsere Gesellschaft ständig durchforscht. Er machte denn kürzlich eine kollektive traumatische Belastungsstörung in unserer Gesellschaft aus. Wegen „CKK“: Corona, Krieg, Kostenexplosion usw. Und eine Art Flucht ins Überschaubare, Private. Eine Art Flucht aus allem um uns. Und in uns. Weil das Äußere sich in uns spiegelt.

Es gab schon mal eine solche Zeit, die idyllisch wirkte: Biedermeier. Sie begann mit den Folgen der Napoleonischen Kriege, die Europas Strukturen erschütterten und zwangsweise änderten. Zeitgleich wirkten schon die Vorbereitungen für die Revolution von 1848. Biedermeier – der Name trompetet schon seine Botschaft. Der Maler Paul Hey lebte erst in der anschließenden Jahrhunderthälfte. Aber er reimte, was zu Biedermeier und allen anderen Fluchten aus einer öffentlichen Gesellschaft passt: Zurück ins Private!

„Freund, ich bin zufrieden, geh` es wie es will/Unter meinem Dache leb ich froh und still.“

Nein, biedermeierlich ging es nicht auf unserem Dorffest zu. Auch wenn einige von uns noch mit dem einen oder anderen wunderschönen Möbel aus dem biederen Meiertum leben.

05. September 2023