Vom Ver- zum Misstrauen
Es überwog noch bis vor kurzem: das Vertrauen. Es kippte in derjenigen Geschwindigkeit, mit der mir bisher vertraute Namen von Behörden, Institutionen, Formen mich betrügen wollen. Im digitalen Netz.
Ich gucke nur noch mit Misstrauen in die E-Mail-Eingänge:
Meine Bank schreibt mit vertrautem Logo, dass mein Konto gesperrt werden müsste. Die Telekom kündigt mir, weil ich auf die dreifache Zahlungsaufforderung nicht reagiert hätte. Die Polizei (ich denke an Freund und Helfer in Ebstorf oder die Bundespolizei beim Sommertreffen) lädt mich vor wegen Kindesmissbrauchs. Die Straßenverkehrsabteilung schreibt, dass sie meinen Führerschein einziehen muss, weil der längst ungültig sei. Und „Miles and More“ meiner Lieblingsfluglinie erklärt eine Neuauthentifizierung für zwingend und dringend notwendig. Dabei fliege ich kaum noch.
Sowas lese nicht nur ich täglich. Anfangs tätigte ich noch Rückrufe bei einigen besonders langjährigen Firmen – alle bedauerten und klagten, sie seien selbst Opfer. Später setzte ich Notrufe bei meinem Computer-As, Herrn Schultz, ab, der mich beruhigte, indem er mir riet, mich an diese Beunruhigungen zu gewöhnen. Nie sofort öffnen, noch mehr aufpassen, wer richtig ist. Wer Fälscher.
Wieder andere erleben das Telefon als Terrorinstrument ihrer Seele.
Omas und Opas geraten in Schockzustand, wenn sich ein Kind oder Enkelkind in allerschlimmster Not meldet, Unfall oder Erpressung schildert. Nur zu vermeiden durch umgehende, sofortige Geldanweisung!
Ein Mensch im Schockzustand handelt ver-rückt – und überweist alles, um das Kind zu retten. Sein Ohr nimmt jede fremde Stimme im Schock als die des Kindes, Enkelkindes, nimmt jede Summe vom Konto. Sofern vorhanden.
Seit ich den Fall von Henning Scherf, diesem klugen früheren Bremer Bürgermeister, las (er flog eben auch auf den Enkeltrick rein), weiß ich, dass mir das gleiche passieren kann.
Kürzlich sagte mir ein Hochschulpräsident, dass er seine Hochschule wie ein Bordell leiten müsse: „Alle wollen nur das Eine…“. Er meinte: Planstellen.
Die Internetschurken und Telefonterroristen wollen auch immer nur das Eine: an das Geld ihrer Opfer kommen. Durch Schockanruf. Durch Zugang zu privaten Daten durch geöffnete Mails.
Ist unsere Welt so schrecklich, wie noch nie?
Nein, erinnert mich Thomas, Jurist, in Celle (mal wieder): Bis 1809 konnte man nicht heil von Celle nach Uelzen über Dalle und Lohe reisen - ohne Wachsoldaten. Räuber und Raubüberfall waren Programm. Die Täter von heute sind nicht zahlreicher. Sie sitzen nur an Schreibtischen statt im Graben oder auf dem Baum.
Daher: Nur weil sich Destruktives global ausweitet und ansteckt – sind wir heute nicht (noch) schlechter als damals. Vertrauen bleibt das Lebenswerte.
8. August 2023