Bürgerkriegs-Potential

Das Spielfeld von TUS Celle war Luftlinie 2 km entfernt im Neustädter Holz und je nach den Ballschüssen in oder neben ein Tor hallten die Schwingungen kollektiver Siegesrufe weit in die Stadt hinein. Die Miene des Hausherrn, der ruhige Idylle gerade sonntags wollte, verzog sich schmerzlich und die Kinder lernten, was Fußball anrichten kann. Richtig Ärger.

Kinder wiederum lieben oft, worunter ihre elterlichen Autoritäten litten. Ein Sohn jenes Fußball-Antipathen ergriff zwar auch dessen Beruf (Geistlicher), aber war suchtkrank. Nach Fußball. Als das Fernsehen erfunden wurde, ließ er glatt wichtige Gäste warten, wenn das aktuelle Spiel noch nicht zu Ende war oder im Elfmeter-Delta zu versickern drohte. Schlimmer noch: Ein Enkel jenes Herrn wurde Sportredakteur bei BILD. Ressort: Fußball!

Gott nahm den Alten mitleidig vorher aus seinem Erdenleben und so musste ihn die Leidenschaft seiner Nachkommen nicht so schmerzen wie die akustischen Folgen der damaligen ge- oder misslungenen Tore im TUS Celle.

Inzwischen war er also längst Engel. Aber auch die sind schwach. Denn sie verfolgen von oben ausgerechnet, was ihre Leiden oder die Leidenschaften unten waren. Die Psychologie nennt das „unerledigte Reste“, die sich ewig weiter melden. Für den Alten war das: Fußball.

Denn er verfolgte kürzlich das Fußballspiel Hannover 96 II und dem VfB Leipzig (Regionalliga Nord). Was er sah, hat ihn zum Hl. Aloisius stürzen lassen. Hl. AloisiusAloisius ist der 1804 auf Erden geborene Schutzpatron des Ballspiels und damit auch des Fußballs. 1981 wurde er von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen, 2001 heilig. Es ging schnell, weil der Fußball immer dringender eines eigenen Heiligen bedurfte. Denn es wird zwar zusehends spannender auf den Fußballfeldern im besten Sinne. Aber immer schlechter um manche Fußballfan-Seelen.

Der Fakt, der oben wie unten beobachtet wurde, der einen Vorgeschmack auf Bürgerkriege gab und weswegen die Bundespolizei zum Bahnhof eilte: Die Fans hatten bereits auf der Anreise zum Spiel ihren Zug derart demoliert und verdreckt, dass der nicht weiterfahren konnte.

Auf der Rückfahrt hatten Fans die Weiterfahrt des Zuges aus Uelzen verhindert. Grund, weil sie auf den Gegenzug warten wollten: Voll mit kampflüsternen Fans von Hannover 96 II. Dank Bundespolizei war der Mini-Bürgerkrieg der Fans nur geplant, fand nicht statt. Bzw. dann wohl zuhause in manchen Familien…

Im Lucky Luke-Heft Nr. 45 taucht jener Zeitungsmacher auf, der seine Zeitung setzt, druckt, austrägt. „Interview mit den Banditen auf den Zugüberfall“ war darin die Überschrift. Das würde ich auch gerne: Interviews mit solchen Fans führen. Motivationsanalyse…

Nebenbei würde ich den Hannoveranern beipulen, wo ihr Heiliger auch steht. In Hannover nämlich. In der katholischen Kirche St. Josef. Sie sollten vor einem Spiel dahin beten gehen. Oder wir für Fans.

21. Februar 2023