Vom Landtag und der Ewigkeit
Es ist nicht das ganz Große. Aber auch nicht das Kleine. Es ist mittel.
Die ganz Großen stehen auf extra Pfählen, die kleinen hängen an Laternen und die mittleren stehen vor Laternen auf kleinen Stelzen. Unseres ist schon lange da. Fast schon von Beginn des Kampfes an, des Wahlkampfes für den Landtag.
Auf unserem Plakat wirbt jemand um Stimmen und das ist nicht besonders. Die Größe des Plakats (mittel) ist es auch nicht. Besonders ist auch nicht der Platzierungsort. Vor der Laterne, die bis zum (wegen Energiekrise) jetzt früheren Verlöschen das Gesicht erkennen lässt.
Das Besondere an unserem Plakat ist, dass es über die langen Kampfwochen das einzige ist. Wir haben nur eines im Dorf hängen und das in der Dorfmitte. Auf dem Brink. Unter der Laterne nicht vor dem großen Tor, aber neben dem Findling.
Das Plakat ist auch nicht besprayt oder bemalt oder mit einem Rahmen verziert, was die Partei und ihren Kandidaten beleidigen oder idealisieren würde. Nein, es ist einfach das einzige Plakat, das im Dorf wirbt.
Als ob wir alle nur diese Partei und diesen Kandidaten kennen. Und wählen werden.
Dabei sind wir um die 140 Bürgerinnen und Bürger. Allein von sechs Mitbürgern weiß ich, dass sie nicht nur eine andere Partei und deren Kandidaten wählen werden, sondern sogar selbst von dieser oder jener Partei aufgestellt und von Menschen aus dem Dorf gewählt wurden (nicht für den Landtag, sondern für unseren Gemeinderat).
Wie kommt es zu dieser Vereinsamung des Plakats?
Unser Dorf ist eben vorbildlich fühlend und denkend. D.h. die einen sind für die Person, die auf unserem Plakat beworben wird. Die anderen von uns sind selbstbewusst und souverän genug, um gegen das singuläre Plakat zu sein. Wieder andere von uns sehen die Person gar nicht auf dem Plakat, weil sie bereits so vertraut ist wie ein vertrautes Möbelstück oder Bild an der Wand. Das auch erst wahrgenommen wird, wenn es weg ist.
Mit Vertrautheit ist eben nicht selbstverständlich gemeint, dass man das Vertraute mag. Oder gar nicht. Mir sind etliche höchst unangenehme Menschen bekannt (nicht im Dorf, aber außerhalb), die mir sehr vertraut sind.
Das ist ähnlich wie bei der verstorbenen Queen (requiescat in pacem), an die sich auch die entschiedenen Gegner der Monarchie gewöhnt hatten.
Denn wie die Queen ist die Person auf unserem Plakat fast immer schon da, wo sie lebenslang hinwollte. Die Queen in die Ewigkeit. In unserem Fall eben in diesem Leben nochmal in den Landtag.
Die kandidierende Person weiß vermutlich gar nichts davon, wie einsam ihr Abbild in unserem Dorf hängt. Und keiner was dagegen hat. Auch wenn er oder sie ganz anders wählt.
27. September 2022