Literarische Mosaiksteine zum Krieg
„Statt Frieden wählt Ihr Tod und Qualen/ berauscht von Feindschaft, Hass und Wut!/Die Welt erstarrt vor Euch in Schrecken/ bestaunt wohl Eure Mordlust stumm/Bedauern kann sie nicht erwecken/Und keiner kümmert sich darum…“
Ein Auszug aus einem Märchen. Wie viele Märchen und Dichter, wenn sie denn welche sind, sind ihre Themen zeitlos. Von Puschkin (1799-1837), dem russischen Dichter stammen diese Zeilen, die Gewalt und Brutalität beschreiben – eben zeitlose menschliche Eigenschaften. Putin wird Puschkin auch gelesen haben (müssen). Aber Literatur und Dichtung gewannen noch nie direkten Entscheidungseinfluss auf das Handeln der Putins vergangener und gegenwärtiger und kommender Zeiten. Ihre Bücher wurden rechtzeitig vorher verbrannt oder verboten. Das ist im heutigen Journalismus und seinen Medien anders. In Ländern wie unserem, hierzulande.
Auch hierzulande lese ich im Jahrgang von 1848 im deutschen „Kladderadatsch, Organ für Bummler und von Bummler“ unter der Karikatur eines Uniformträgers mit Pickelhaube und Degen, der einem Zivilisten den Angriffskrieg erklärt:
„Pack an! Des ist en Literat/Denn er hat einen rothen Bart/ Und man sieht auf den ersten Blick/ Der will die rothe Republik!“
Die fleißig geschürte Angst gegen alles Rote führte im damaligen Berlin denn auch zu dem verbreiteten Gerücht, ein starkes russisches Heer marschiere gegen Berlin. Ein Fake. Kein Fake der Angriffskrieg seit März.
Weg von dem gegenwärtigen Angriffskrieg zu dem 30jährigen Krieg, den selten einer so studierte wie Golo Mann („Wallenstein“). Ein Angriffskrieg der einen Seite zog den Angriffskrieg der anderen Seite gegenüber Dritten nach sich und der Vierte folgte sogleich. Als schließlich der oberste Feldherr der katholischen Majestät, Wallenstein, zugunsten des Kriegsendes einen heimlichen Pakt mit den eben noch protestantischen Erzfeinden schließen wollte – wurde er vorher ermordet. Ein Roulette-Opfer, das den Krieg satt hatte aber die anderen nicht.
Und wieder in die Gegenwart: Ich bekomme gestern Post aus Estland und diese Post dreht wieder die Sicht auf die Frage um 180 Grad, wer wen angegriffen, besetzt, zerstört hat:
„Jetzt beginnt die Welt zu verstehen, worüber wir hier im Baltikum die ganze Zeit gesprochen haben.“ Die Schreiberin zitiert die Baltische Tragödie (1890 bis 1920) und Siegfried von Vegesacks Romantrilogie. Die Tragödie endet mit der Besetzung des Baltikums durch Russland. Erst im 2. Weltkrieg „befreiten uns die Deutschen.“ So geht’s wieder anders herum.
Rainer Kunze ließ sich von Rose Ausländers Gedicht zum Karpatenrücken einladen und lässt den Namen widerhallen: „Maidan, Maidan/Und in des Namens Klang/Klang der Name an/des Dichters, dessen Wort wir in uns tragen:/ Der Tod ist ein Meister aus Deutschland/Doch weiß man hier, der Tod kam nicht/aus Deutschland nur (…)“
Kriege sind Roulette-Spiele. Internationale Spiele.
31. Mai 2022