Von Schnecken- und anderen Häusern
Finja tippelt herein und reicht mir eine Weinbergschnecke entgegen. „Guck mal – Necke.“
Ich hatte immer schon Schwierigkeiten mit dem so schönen Namen Weinbergschnecke – und dieser nass-schleimigen Natur der Schöpfungsgenossen in dem festen Haus um sich. Ich sehe Schnecken wie manche Verwandte und Kollegen: Am liebsten dann, wenn sie sich zurückgezogen haben in ihre Häuser.
Meine Beziehungsstörung zu diesen Tieren wurde chronisch, seit ich in Salzburg auf dem Steintreppenaufstieg zum Palais des Kardinalerzbischofs auf einem ganzen Teppich dieser Tiere ausrutschte und synchron Täter und Opfer wurde. Dazu kann die katholische Kirche diesmal aber nichts.
Finja hat keinerlei Probleme. Sie reicht mir die Schnecke entgegen. Ich schüttele den Kopf für den Fall, dass ich sie schmecken soll. Meine orale Phase liegt hinter mir.
Ich lenke mich ab durch Flucht in die Pädagogik und weise auf das hübsche, feste Haus mit seiner Maserung hin, auf die empfindsamen Fühler… Während ich erzieherisch auf Finja einwirke, überfällt mich die Erkenntnis, dass meine Antipathie gegen diese Schnecken auf blankem Neid basiert. Ich hätte zu gerne ein mobiles Haus um mich herum. Ein Wohnmobil, einen Caravan.
Seit Beginn von Corona und erst recht nach dem Kriegsbeginn wachsen meine Träume Richtung Kerkeling und Co. Ich bin dann mal weg. Aber eben mit Mobilie. Die Werbung wirbt – auch wenn sie vordergründig Caravan und Wohnmobile vermieten und verkaufen will – hintergründig für Einsamkeit. Ich sehe zwischen Wetter und Wirtschaft vor acht einsame Seeufer im Sonnenuntergangslicht, einsame Lagerfeuerchen am Berghang, zweisam glücklich schweigende Pärchen jeden Alters. Fast.
Wohnmobile Nachbarn warnen mich: Wirklich schöne Fleckchen auf Mutter Erde seien mit Campingplätzen gekoppelt. Mit Voranmeldung. Und die Geheimtipplisten mit Adressen von Bauernhöfen seien eben inzwischen geheim.
Meine Augen wandern durch das große Fenster auf die Wiesen und den Wald dahinter, staunen einen Traktor von Schultes oder Hahns oder Bokelmanns an, der quer über die Wiese auf den Ansitz zufährt.
Der Traktor bummelt auf den Ansitz zu, nimmt ihn in Schlepp. Zurück über die Wiese. In neue Einsamkeit. Mir fällt die Anhängerkupplung für den Fahrradträger am Auto ein. Ich werde fragen, wo es einen mobilen Ansitz gibt. Gebraucht oder zur Miete.
Ich streichele das Haus von Finjas Schnecke, und weiß was ich ihr danke. Den Beginn totaler Unabhängigkeit - von der Werbung für Caravans.
17. Mai 2022