Ein Schiff wird kommen…
Die Enkelin, neun Jahre alt, nimmt den Schmuckkasten vorsichtig in die Hand. Der Kasten füllt den Handteller eines Erwachsenen und ist dort eher ein Handschmeichler, ein geschliffenes Kästlein.
Julia hält ihn mit beiden Händen. Er ist aufklappbar durch ein Messinggelenk und aus russischem Achat geschliffen, seltenerweise bernsteinfarben. Auf der Vorderseite hat eine russische Künstlerin einen Viermaster gemalt. Mit weißen Segeln und Punkten am Rumpf, die Kanonen sein könnten. Ich denke an Bertolt Brechts Seeräuberjenny in der Dreigroschenoper:
„Ein Schiff wird kommen – mit acht Segeln – und fünfzig Kanonen an Bord…“
Jenny singt von der sich dem Hafen nähernden Macht, über die sie Macht hat, singt von dem Geheimnis bald rollender Köpfe…
Ich sage nicht, was ich denke und sehe Julica, wie sie in dieses Bild auf dem Achat versunken ist und einen Tagtraum träumt.
„Der ist wunderschön – nicht?“ sagt sie.
„Ja, das ist er.“
Julica ist Künstlerin im Andeuten von Wünschen.
„Der ist - noch nicht - zum Erben, nicht?“
Ich sage, ich würde mir merken, dass sie das Kunstobjekt später erben soll – und, dass ich das Kästlein in Russland von Valentina geschenkt erhielt, einer dortigen Kollegin, die aus der Gegend kommt, in der dieser Edelstein gefunden wird.
„Russland?“ Sie hebt schnell den Kopf und streichelt weiter das Segelschiff. „Weißt du denn“, fragt Julica, „dass Russland einen schlimmen Krieg führt?“
Ich nicke und sage, dass nicht das Land, die Russen, den schlimmen Krieg führen, sondern eine schlimme Regierung. Und dass Menschen wie diese Valentina auf der Liste von Tausenden von Lehrern an Schulen und Hochschulen stehen, die gegen die Regierung und deren Krieg sind.
Julica streichelt weiter den Stein und das Segelschiff darauf mit acht Segeln und vielleicht fünfzig Kanonen darauf.
„Ich will einmal dahin“, sagt Julica, „dorthin, wo dieser Edelstein wächst und von wo die Valentina herkommt.“
Gott nochmal –wie ist diese Erde doch durch unsere Kinder immer neu auf Hoffen in der Zukunft ausgerichtet. Die Julicas dieser Erde werden einmal wieder Schiffe und Luftschiffe ohne Kanonen bauen und auf ihnen reisen zu jenen, die jetzt Täter und Opfer sind.
Der Liederdichter Eckart Bücken beginnt einen Text zur Jetztzeit:
„Wir sind am Ende unsrer Träume/ der Wind weht Kälte in das Herz“ und endet „die Hoffnung bleibt/ und - Kampf gegen Gewalt.“
29. März 2022