„Ich sag Ihnen - unsäglich!“
Nein – bei uns oben auf der Landkarte, also unten, passiert sowas Unsägliches nicht:
„Ich sag Ihnen – unsäglich“ war mehr Ausruf als Wortsammlung. Meike Unger sagte sie. Ganz unten auf der Karte, ganz oben: Auf 1358 m über dem Meeresspiegel war das. Sie ist die Bedienung vom Berghaus Schönblick auf dem Söllereck bei Oberstdorf im Allgäu. Die Meike Unger rief nicht nur, sie klagte. Natürlich klagte sie das bayerisch. „I sog Ihne…unsäglich“.
Das war, nachdem sie uns bat, worum sie bitten muss: Impfpass und Personalausweis. Und nachdem ich gesagt hatte, das sei wohl eine ganz schöne, nein, unschöne Belastung. So neben der Wirtschaft.
Nun macht das, was jemand als unsagbar, unsäglich sagt, erst recht neugieriger, als Gesagtes. Wir fragen nach.
Meike Unger bringt schwarzen Tee, ein Wasser, dann legt sie los. Die Gäste - die Gäste seien unsäglich! Seit die Inzidenz von 400 auf 500 und neuerlich auf 800 und morgen wohl darüber steige, gelten nur noch 2 G. Und sowieso FFP-Maske. Hinter ihrer Maske kotzen sich die Gäste aus. Bei ihr. Aber wie?
Immer mehr legen gleich los mit Beschimpfung. Und immer öfter Beleidigungen. Bis zum Unflätigen, eben Unsägliches. „I sog Ihne das net.“
In der Saison täglich mindestens 100 Gäste, Außenwirtschaft und Gastraum.
100 Mal „Bitte Ihren Impfpass und Personalausweis“. Gelassene Gäste – auch. Ein bisschen. Immer weniger je länger das alles dauert. Und immer mehr legen spätestens los, wenn sich Meike Unger über das Foto im Perso und die Impf-Stempel beugt. Dass sie sich für sowas hergebe, für sowas wie im 3. Reich!
Wie lange diese Saison jetzt dauerte – mitsamt den neuen Alarmdaten?
Sechs Wochen. 100 Gäste täglich mal 7 Tage = 700 x 6 Wochen = 4200 Mal: „Darf ich bitte Ihren Impfpass und den Personalausweis einsehen?“
Ihr Chef, Roman Berktold, ein bewillkommnender, freundlicher Chef, der draußen bedient, fegt durch die Tür in Richtung Küche neben der Theke. „Der Wahnsinn heut, der Wahnsinn - vier Gäste am Tisch und fünf Umbestellungen!“
Manches verändert sich eben nicht, obwohl Veränderung doch immer garantiert ist: Der bequemste Ort, um eigenen Frust abzuladen - ist immer noch der andere Mensch.
Guten Kurzurlaub, Frau Unger und Team. Erholen Sie sich von uns. Mit der Skisaison ab 12. Dezember kommt der Wahnsinn wieder. Das Unsägliche ist überall dort, wo es Menschen gibt, die bedienen und bedient werden wollen. Inklusive Abfalleimer zu sein für den Müll anderer. Und – halten Sie durch! Sonst ziehen wir da oben in den Bergschönheiten demnächst Kaffee und Sandwich aus dem Automaten
Wie gut wir`s doch haben in der Heide ohne Massentourismus. Wo sowas nie passiert.
16. November 2021