Von einem, der Gesetze brach

Gott und uns sei`s getrommelt und gepfiffen: Die Lockerungen tendieren in Richtung Freiheit!

Bevor nun der Stoff über Pandemie-Geschichten ausgeht und verzückten Berichten über Bierstammtische im Freien oder Freibäder oder Spielfilme mit Pandemie-Erinnerungen Platz machen muss – schnell noch diese Geschichte eines Gesetzesbrechers, mindestens Ordnungswidrigen. Stefan heißt er, ist Leiter einer Beratungsstelle und sieht sich trotz achtbarem Job als Gefährder. Seine Geschichte spielt in soeben erst verlassenen Zeiten. Zeiten nächtlicher Ausgangssperren.

„Ich“, beginnt er seine Geschichte, die ich nacherzähle, „bin gefährlich, ordnungswidrig. Man muss mir den Ausgang  verbieten, den Ausgang nachts. Eben der ist verboten. So steht es im „Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

Stefan wusste, dass er als gefährlich eingestuft war. Weil er nachts trotz Ausgangssperre auf einem Hügel mit freier Sicht nach Süden und bis zum Horizont seinem Hobby nachgeht. Wie ein Jäger. Zwar weit weg von den Menschen, Ortschaften und all ihren Lichtquellen, aber trotzdem ist er verboten. Der nächtliche Ausgang.

„Ich bin Hobby-Astronom, beobachte durch mein Teleskop (9 ¼ Zoll Durchmesser, 2, 350 mm Brennweite) auf meiner Erhebung Sternhaufen, Galaxien, Doppelsterne, Planeten, Nebel.“ Und weil tagsüber bekanntlich die Sonne alles überstrahlt, muss Stefan nachts raus und weg von der Lichtverschmutzung einschließlich Laternen.

Stefan hat beim Gesundheitsamt vor seiner Gesetzesübertretung nachgefragt, ob er mit seiner Astronomie auf menschenverlassenem, einsamem Hügel nicht befreit wäre von etwaiger Strafe wegen Gesetzesübertretung.

Wäre er nicht. Er wäre strafbar. Stefan machte sich strafbar.

„Ich hätte lügen können. So etwa: Ich bereite durch meine astronomischen Beobachtungen eine wissenschaftliche Publikation vor und berufe mich auf den Ausnahmezustand der im Gesetz genannten und in Artikel 12  Grundgesetz verankerten Berufsfreiheit.“

Aber Lügen sei ja verboten, stünde in der Bibel, erinnert Stefan sich und mich. Und fragt dann – eher juristisch philosophierend, als präzise adressierend – welches höherwertiges Grundrecht der Allgemeinheit er mit seinem Teleskop auf seinem menschenfernen Hügel  eigentlich gefährde.

Er wird also das Gesetz bei einem neuen strengen Lockdown mit nächtlicher Ausgangssperre wieder brechen. An freien Tagen allerdings beobachtet Stefan auch tagsüber die Sonne mit Weiß-Licht-Filter und H-Alpha-Teleskop die Sonne. Das ist straffrei. Gefährder und Ordnungswidriger ist er dann erst wieder ab 22 Uhr.

08. Juni 2021