Fritz auf dem Dachboden
Friedrich, genannt Fritz, ist ein Junggeselle, modern ein Single. Fritz wird bald 75. Seit dem 2. Lockdown klettert er nach dem Frühstück auf der ausziehbaren Holzleiter hoch, die das Erdgeschoss des Ein-Familien-Bungalows in Lüneburg mit dem Dachboden verbindet. Und lebt dort tagsüber wegen Corona. Apropos Ein-Familien-Bungalow für einen Single: Man kann ja nie wissen – die Kontaktanzeigen seitens Damen und Herren über 70 mehren sich sowohl in der AZ als auch im ZEIT-Magazin.
Fritz ist leidenschaftlicher Wanderer, was vom Aufwachsen in 700 m Höhe in St.Andreasberg kommt. Er reiste vor Corona mit Auto, Klepper-Faltboot, Pedelec und Zwei-Personen-Wohnwagenanhängerchen (man kann ja nie wissen) fleißig herum.
Infektionsgesetzlich reist er jetzt nicht mehr bzw. nur auf den Boden. Für sein Schlafen kommt er herunter. Für die Zeit zwischen Frühstück und Nachtschlaf nimmt er sich kleine ungesunde Mahlzeiten mit auf den Boden.
Fritz treibt nicht der Trotz auf den Dachboden, aufgrund dessen andere zu Demos gehen. Er fühlt auch keine Depression oder Angststörung, deretwegen manche Menschen derzeit schon die Dusche ungern verlassen, weil sich dort gut zusammenkauern lässt, mit warmer Umhüllung wie im Mutterleib.
Nein, Fritz treibt seine Märklin-Eisenbahn nach oben. Meter für Meter erstreckt sich die gegenwärtige Strecke von mehreren Steuerpulten aus in Ecken, wo sich früher die alten Reisekoffer seiner Eltern stapelten, Kartons mit den Kinder-und Jugendbüchern von Fritz und seinen drei Geschwistern, Kleinmöbel, die die Umzüge überlebt und ein Gnadenbrot auf dem Boden bekamen.
Bis in diese letzten Ecken hinein blühen jetzt grüne Baumreihen, kleine Wälder, Siedlungen, Tunnel, durch die die Züge fahren. Personenzüge, Schnellzüge, ICE`s, Güterzüge. Fritz ist eben schon lange Märklin-Fan und von daher rollen auf dem Boden die Flotten der Deutschen Bundesbahn seit einem halben Jahrhundert. Stets updated, um die neuen Modelle. Zu Weihnachten schenkte Fritz sich zwei Erixx-Triebwagen…
Fritz gleicht aus: Sein Auto, sein Wandern in Jugendherbergen, sein Faltboot, seinen Wohnwagen, sein Pedelec. Er klagt selten über Einsamkeit, kaum über das Virus – schlicht deshalb, weil er Kataloge von Märklin wälzt, was es alles gibt und demnächst geben wird. Bzw. was es früher gab und was er noch nicht hat.
Sammler haben es derzeit leichter. Besonders Kluge nennen solch Sammeln zu Corona-Zeiten Kompensation, was an Ungesundheit grenzt. Aber Fritz macht einen zufriedenen Eindruck, wenn er mal runterkommt. Märklin kanalisiert sein Fernweh. Die Illusion der Landschaften, durch die seine Züge rollen, ersetzt bis jetzt die Realität des Reisens.
Wenn wir weiter AHA –Regeln hochhalten - dann kommt Fritz auch wieder runter. Und unter die Leute.
02. Februar 2021