Verschiedene Weihnachten

In einer Weihnachtskolumne 1980 zitierte ich meinen damaligen Hausarzt, der sagte (der heutige sagt nichts mehr wegen Datenschutz), dass ein Viertel der Gemeinde es am Magen habe. Disstressoren durch zu viele Weihnachtsfeiern. „Blöde Weihnachts-Gänse“, sagte er. „Danach gleich Neujahrs-Karpfen“.

Dies Jahr kommen wir gastroenterologisch gesehen (Magen bezogen u.a.) gesund in die Festtage. Das Hinaus aus den Festtagen haben wir ebenso mit zu entscheiden wie die nachweihnachtliche Inzidenzrate.

Das Thema 1985: Ulrike (immer schon extravagant) berichtet von ihrer jährlichen Weihnachtsflucht-Reise, damals auf einem Segelschoner. Auf dessen Masten sei ein Elmsfeuer oben an den Mastspitzen erschienen. Heiligabend! Ein natürlicher Weihnachtsbaum auf See. Gott, waren wir damals alle neidisch wegen dieser Schiffsfahrt und diesem Zeichen von oben. Dies Jahr wird nichts beneidet. Ulrike feiert zuhause. Vielleicht schöner denn je.

Thema 1989: Cousine Ruth, Pastorin, versah mit halber Stelle und vollem Einsatz vier Gemeinden in drei Kirchen und predigte üblicherweise die Weihnachtsbotschaft (Frieden), was anlässlich der Grenzöffnung vor wenigen Wochen ganz neu erschien. Dem Corona-Weihnachtsfest 20 verdanken wir eine Vorfreude auf die Öffnung völlig anderer Grenzen als von damals. Hoffentlich auch in wenigen Wochen.

Thema 1995 war der Kaufrausch zur Weihnacht - wissenschaftlich: „Der Stress in den Konsumzentren hier, in allen Ballungen von Menschen und Waren, führt zu zerebralen Endorphin-Ausschüttungen, diese dann zur verminderten Steuerungsfähigkeit, diese zum unbeabsichtigten Erwerb von Konsumgütern usw.“ Dies Jahr auch keine Gefahr. Ich hätte gern mehr Räusche gehabt. Ich finde aber Gutscheine kreativ, wie sie Altmeier in Berlin und Markwardt hier für die Zeiten der Einlösungsmöglichkeit in Geschäften nach dem Lockdown anempfahlen. Dies Weihnachten könnte mangels Kauf-Rausch spiritueller werden als jemals seit dem Wirtschaftswundertempelbau.

Thema 2015: Weihnachtsrituale in unserer Ostheide. Wir halten unser Haupt hoch und den Ruf stolz aus, hintere Provinz vor der hintersten zu sein, die noch östlicher liegt. Ängste, den Anschluss zu verlieren, werden kompensiert durch noch intensivere und umkämpfte Verkehrs-Anschlussplanungen. Dieses Weihnachten verschwindet all das Umkämpfte von B wie BAB bis W wie Wölfe im Nebel der Ostheide.

Thema 2020: Ein Weihnachten, das uns weltweit vereint: Einmal durch gemeinsame Not, welche in allen Zeiten immer schon dazu zwingt, sich zusammen zu setzen. Weiter durch verordnetes Nichtzusammensitzen.

Fürchtet jemand zu viel Nähe auf zu engem Raum? Wir sind hier wenig Menschen mit viel Natur um uns. Die schenkt uns Ausgleich draußen für die möglichen Probleme drinnen.

„Es gibt durchaus immer was zu danken“, sagte mein (alter) Hausarzt als Weihnachtswunsch.

22. Dezember 2020