Die Liebe in den Zeiten von Corona
Alexander ist erfahrener Paartherapeut und hat jetzt durch eine Kollegin von einem Paar gehört, das er gern selbst begleitet hätte.
Dessen Krise ist auf Corona zurückzuführen: Zu lange Gemeinsamkeit in 2, 5 Zimmern, 3. Stock. Sehr alter Altbau. Ohne Balkon.
Zusätzlich zur Liebe sind sie jetzt vereint im anhaltenden Homeoffice an einem provisorischen Doppelschreibtisch. Für ganz verschiedene Arbeitgeber im selben Raum.
Zwei Homeofficer im selben Raum – das führt nicht nur zu Nähe, sondern zwingt dazu. Erzwungenes zeigt allerdings auch bei einem Paar, das sich liebt, Merkwürdigkeiten. Erst gab es subtile Signale der Sehnsucht nach Distanz, dann leisen Streit, dann lauteren. Solch übliche „Spiralen des Streits“ kann man daran abhören, dass die Wort-Beiträge zunehmend synchroner werden, so dass schließlich keiner mehr den anderen hört. Nur die Nachbarn.
Vor lauter Schreck über die eigene Lautstärke rückten die beiden ihre Arbeitstische wieder auseinander in die größtmögliche Distanz - mit dem beiderseitigen heftigen gemeinsamen Wunsch, das gemeinsame Schlafzimmer aufzugeben und sich zu trennen. Hotelflucht unmöglich. Er schlief ab sofort im aktenüberfüllten Wohnbüro auf dem Sofa, sie im halbleeren Bett nebenan. Planung: Keine gemeinsamen Mahlzeiten und bei nächster reiferer Gelegenheit Näheres zur Realisierung weiterer räumlicher Trennung. Vorübung: Er würde übermorgen erstmal weg sein. Kann er auch. Er schreibt für ein Magazin mit Presseausweis, also systemrelevantes Reisen. Sie wird zuhause bleiben und eine Freundin mit Mann einladen, die sie bisher nicht über Nacht einladen konnte.
Beim ersten Tag nach erklärter Trennung trafen sie sich in der Küchenecke. Sie (Frühaufsteherin, er nicht) hatte ihre Teetasse stehenlassen. Versehentlich, betonte sie. Er – höflich auch in Krisen und jetzt in Trennung – bot ihr eine Tasse aus seiner Thermoskanne an, den sie an diesem ersten Trennungstag für ihn mit aufgebrüht hatte. Aus Gewöhnung, wie sie betonte. Mittags gelang die Trennung, abends auch, nachts erst recht. Alles in 2, 5 Räumen und im Lockdown. Keine unnötigen Wörter. Keine Vermeidung der Arbeit. Nur Vermeidung des ehemaligen Gegenübers.
Sie suchte Flüge nach Österreich raus, wo er Corona im Skigebiet studieren wollte. Dafür kaufte er nach ihrer Liste für ihre Freundin samt Mann ein, die nach seinem Abflug kommen sollten.
Am nächsten Morgen stellten sie fest, wie gut ihnen die Trennung täte – und taten, was heftig Liebende tun, wenn sie sich nach einer Trennung wieder treffen.
Am übernächsten Mittag aßen sie – wieder zufällig - zu gleicher Zeit am gleichen Ort, der Küche, verschiedene Dosengerichte und stellten abermals fest, wie gut ihnen die Trennung tue.
Das ist jetzt 10 Tage her. Und sie leben immer noch in ihrer Trennung. Sehr, sehr gut. Solch Rollenspiel – das sei es jetzt nämlich, schwärmten beide – wär ideal gegen Corona-Enge.
08. Dezember 2020