Weihnachtsreisen

 „Über Weihnachten fahren wir wie immer in die Berner Alpen“, sagte Bernhard, meist etwas zwanghaft gegen größere Änderungen. Deshalb sein „wie immer“. Für die Freiheit vom Zwang hat er ein eigenes Flugzeug. Ein kleines.    

„Und wir wählen jedes Weihnachten ein anderes Land. Am liebsten katholisch. Die feiern Weihnachten wie die Rheinländer Karneval . Dies Jahr schenken wir uns Argentinien.“ Claudia überstrahlte alle. Auch wie immer.

 „Dies Jahr“ war letztes Jahr, 2019, und diese Angeber-Runde saß am Nebentisch im Ratskeller einer benachbarten Hansestadt. Uelzen hat ja keinen. Ratskeller meine ich. Angeber hat es schon..

Dies Jahr bietet nun nichts zum Angeben. Wegen Corona reist keiner weit.

Corona schafft diesbezüglich eine Gerechtigkeit, die Arm und Reich diesmal zwangsvereint. Ein Reset für alle Einkommen bzw. Auskommen bzw. für das Rauskommen. Kein Mensch kommt raus. Nicht mal, wer ein Flugzeug besitzt. Keiner kann in ein schickimicki weihnachtlich eingerichtetes Vier-Sterne-Restaurant im „Atlantik“ in Hamburg oder im Bayerischen Hof in München oder in einen der ebenso schlicht wie liebevoll geschmückten Gasthöfe der Heide oder in einer der Pensionen auf dem Bauernhof im Allgäu. Keiner.

Corona macht uns alle gleich. Nur die systemrelevanten Berufsinhaber sind gleicher, aber dafür sind sie zu Weihnachten erschöpfter als wir.

Damit das klar ist: Mit Reisebüros und Hotel- sowie Gastronomie-Betrieben leide ich mit. Schließlich bin ich auf beide nicht nur angewiesen, wenn ich reise, sondern bewundere sie, wie sie mich organisieren, wenn ich weit weg arbeite. Jetzt aber geht nichts zu Weihnachten. Die einen reisten vor Corona aus Leidenschaft, andere litten auf Reisen unter Heimweh, wieder andere reisten aus Spaß, nochmal andere, um anderen zu imponieren wie die Typen am Nachbartisch jenes Ratskellers. Wir sind nicht so. Wie haben ja keinen Ratskeller. Aber jetzt geht nichts und die Weihnachtsflüchtigen auf Reisen leiden, dass nichts geht.

Egal, wer wie viel Geld hat: Der Spielraum für Geschenke 2020 beschränkt sich auf Gabentische oder Briefumschläge. Und egal, wieviel Scheine im Briefumschlag sind: Die Ausgabenmöglichkeiten in der Gegenwart sind beschränkt – und in der näheren Zukunft schlecht berechenbar.

Lächeln oder Umarmen (ich meine richtig, nicht per Skype, Zoom, Whatsapp) zu schenken, das Schönste für manche, geht nur mit höchstens fünf aus zwei Haushalten. Weihnachten bis zehn. Oder als Single mit dem Haustier oder dem Moderator im TV.

Tante Ulrike (über 90) hat wie immer einen Rat. „Kinder – ihr habt doch dauernd auf Reisen haufenweise Fotos gemacht“ (Tante Ulrike kennt nur die Abzüge in den Papiertaschen). Und Filme! Guckt Euch die doch an. Geht auf Erinnerungsreisen.“

Was mich an Tante Ulrike besonders wurmt, sind Ratschläge, wie dieser. Weil die durchaus was für sich haben.

01. Dezember 2020