Matzen – oder vom Singen

„Nee, leider Gottes nee! Darauf müssen wir derzeit verzichten. Sie wissen ja: Aerosole - geschlossener Raum - Tröpfchen in Unmengen….leider Gottes“ 

Wer das mit leidenschaftlichem Bedauern sagte, hat es normalerweise nicht mit Gott und ähnlichen Adressaten zu tun ist. Jörg ist Chefarzt in einer Klinik, die sich als „Singendes Krankenhaus“ zertifizieren ließ (googeln lohnt sich). Er sagte es auf die erwartungsvolle Frage einer neuen Patientin (nicht von Covid 19 infiziert). Die hatte gelesen, dass der Singtrupp dieser Klinik auch zu neuen Patienten ins Zimmer kommt. Welcome-Song. Ein Chörchen, in  dem Raumpflege, Patienten, Pflegepersonal, ärztliches Personal, Köche – und eben der Chef singen. Einmal aus der eigenen Lust am Singen heraus. Zum anderen aus dem Wissen heraus, welches inzwischen international meterweise Fachbücher in Psychologie und Medizin füllt mit Studienergebnissen, wie und wo und warum Singen eine der die Gesundheit erhaltendsten „Behandlungsmethoden“ für Psyche und Physis ist. Die Matzens dieser Welt, die Chorleiter, müssen die Hintergründe dafür nicht kennen, aber sie sind Mitträger des Gesundheitswesens durch all das, was des Wissenschaftlers Herz begehrt: Ultraschall, Tomographen.

Kostprobe gefällig? (Ggf. überlesen Sie diesen Absatz, bevor Sie gar nicht weiterlesen): „Beim Singen zeigen sich im funktionellen Kernspintomographen die Ängste generierenden Zentren wie der Mandelkern deutlich weniger durchblutet. In Folge ist auch die vegetative Reaktionsbereitschaft des Gesamtorganismus deutlich reduziert. Die Stressantwort unseres Nervensystems ist signifikant“ …usw.

Es geht auch deutscher: Singen macht stressfähiger.

Im gegenwärtigen hohen Disstress von Corona müssen wir weitgehend auf eine der besten Entstressungs-Strategien verzichten. Wegen der Tröpfchen…

Doch Kreativität findet immer Lücken. So darf mit genügendem Abstand gesummt werden, mitgesummt werden. Und erst recht kann der Mensch schmettern, säuseln, zirpen - wenn er allein ist. Oder mit jemandem zusammen, mit dem oder der ohnehin Bett und Tische geteilt werden. Oder Singen zum Playback. Längst wird Singen in „Outdoor-Gruppen“ wird erprobt. Oder draußen auf Gartenliegen 2 m-Abstand.

Ein bisschen Entwicklungspsychologie gefällig?

Alle, die singen, sind Nachfolger unserer Mütter, die während ihrer Schwangerschaft mit uns sangen. Als Embryonen und Feten re-sonierten wir – wenn Mama sang - mit Bewegungsimpulsen, mit Herzschlag usw., die die Vorstufen der späteren Emotionen Freude, Nähe, Lust mitsamt biochemischen Vorteilen zeigen. Heute wird das alles bewiesen, was Mütter und Menschen, seit es welche gibt (seit ca. 4,8 Mio Jahren), immer schon wussten. Singen – oder wie wir im Landkreis wissen – „Matzen“ ist es noch mehr.

25. August 2020