Vom Ausgrenzen der Russen

Auf der Mitte der Brücke über den Fluss stand ein Schild: „You are leaving Europe…“.

Dieses Schild mit der Info, man verlasse jetzt Europa, hatte natürlich auch eine andere Seite. Auf der stand logischerweise, was man von der anderen Seite verlasse: „You are leaving Asia…“.

Kein Wachtposten, keine Schranke, nichts behinderte den Übergang zwischen diesen riesigen Teilen unserer Erdkugel. Auf der anderen Seite der Brücke über den schmalen Fluss begann - zunächst - Kasachstan. Asien.    

Russische künftige Kollegen von den Orenburger Hochschulen zeigten mir 2007 die Brücke und das Schild und damit, woran sie hingen. Z.B. an ihrem Bewusstsein, zu Europa zu gehören.

In den Jahren der Zusammenarbeit zwischen Hamburg und Orenburg und St. Petersburg träumten wir von dem weiteren Zusammenwachsen der politischen Systeme und deren Menschen. Und dies nicht wegen der Männerfreundschaft zwischen einem der Nachnachnachfolger vom Kurfürsten in Hannover (Schröder) und Putin.

Jetzt lese ich von der wachsenden Meinung, dass zwar die Russen, die hier schon leben und arbeiten, dies weiter dürften. Aber dass einreisende russische Touristen dies nicht mehr dürfen sollten: einreisen. Wie anders als durch Einreisen in andere Länder lernt der Mensch die Perspektiven anderer kennen? Bei uns die Freiheiten der Diskussion, der Medien, der gegenteiligen Meinungen. Sogar wenn sie extrem sind. Und mühsam.    

Es gibt nichts in unserem Denken, was nicht gedacht werden könnte – sagten etliche Vordenker und meinten dies positiv wie warnend. Z.B. unser hannoversches Universalgenie Georg Wilhelm Leibniz. Er beriet den Kurfürsten und allerlei andere Regierungen, für die er forschte und warnte eben vor Ausgrenzung.

Da Leibniz auch für Paris arbeitete, auch für den König in Berlin und den Kaiser in Wien, immer vor Ort, beobachtete er, wie mechanisch die Folge von Ausgrenzung funktioniert: Noch mehr Aggressionsstau und noch mehr Entladung desselben. Wie in mancher anderen Chemie, die nicht stimmt.

Aber solche Warnungen nützen nicht. Fast nie. Ein gutes Halbjahrhundert später schlugen das kleine Preußen und das riesige Habsburger Reich Schlachten, um Grenzen zu verschieben. Des Leibniz` Träume, er wusste, dass er träumte, zerfielen.

Was in der großen Politik mit Ausgrenzung und Einreiseverboten passiert, ist nicht fern: Es gilt auch für Gruppenfehden, für Heime, für Paare. Und für einzelne Menschen, die zu viel Erlebtes oder Sehnsucht danach in sich ausgrenzen – und noch nicht mal wundern können, dass sie es im Gegenüber bekämpfen, was in ihnen ist. Da war doch was vom unentdeckten Splitter im eigenen und dem sofort entdeckten Balken im Auge des anderen?

30. August 2022