Vom Pfeifen vor dem Testzentrum

Ich wollte hinein – er hinaus. Er fiel auf durch seine Äußerung:  Der Mann pfiff beim Verlassen des Ebstorfer Testzentrums. Und wie! Wissenschaftlich rubriziert gehörte sein Pfeifen zur ergotropen Sorte, belebend also, vital. Klare Quart aufwärts wie in Morgen- und Wanderliedern oder beim alten Tatütata-Feuerwehrsignal. Danach folgte ein Melodieablauf, der an „Der Mai ist gekommen…“ erinnerte. Vage, aber knapp erkennbar.  

Der Mann war bester Stimmung. Hochwahrscheinlich brauchte er den Beweis, negativ zu sein, damit er Positives erleben könne:  Fitness-Club, Vereinsvorstandssitzung, Besuch zu Omas 90.... Oder eine der reizenden Damen im Ehrenamt des Testens (Nase) hatte es ihm angetan.

Gleichwie: Sein Pfeifen erinnerte mich sofort an den Kollegen Professor Böhme. Der fasste seine Pfeif-Forschung in einem Brief zusammen. Der Brief ging an einen frischen Pensionär, der seinen Ruhestand üblichen Dingen wie Enkeln, sonstige Familie, einem zu schreibenden Buch widmen würde – und seiner Modelleisenbahn. Ich fasse die Forschung des Forschers zusammen:

Jeder früherer Berufs- oder Modelleisenbahner nutzte sie: die Pfeife. Vorbei - die Zeiten ihrer Trillerpfeife mit kurzem Pfiff und der langen Antwort der Pfeife der Dampflok. Sie wurden jahrzehntelang standardisiert, diese Pfeif-Signale: Vor Gefahrenstellen der Bahn gab es Schilder mit schwarzem P für Pfeifen auf weißem Grund. Was hieß: Der Lokführer habe unbedingt zu pfeifen. Dreimaliger Pfiff hieß sofortiges Anhalten.

Gehalten hat sich das Trillerpfeifen bei den Verdi-Veranstaltungen zugunsten von Arbeitnehmern – auch, um Forderungen nach Verbesserungen ähnlich unüberhörbar zu machen wie die Bahn ihre Pfiffe. 

Das Pfeifen unseres Mannes beim Verlassen des Testzentrums fällt unter „epheme“ Äußerungen, also nur kurze Zeit hörbar, kaum geäußert, schon vom Mai-Winde verweht. Charles Darwin, der 1809 geborene Naturforscher, beschäftigte sich auch mit dem Typus unseres Mannes in Ebstorf. Er schrieb auch was zum Pfeifen in Bezug zu den menschlichen Gemütsbewegungen: „…obschon wir im Affekt allgemein den Mund öffnen, so werden doch häufig die Lippen ein wenig vorgestreckt – so können allem Anschein nach hieraus die verschiedenen Laute erklärt werden…“  Eben auch Pfeifen.

Der Ebstorfer in seiner Hochstimmung fällt aber auch – wohlwollend beurteilt - unter die Rubrik „Kunst“. Josef Strauß (der Jüngere) schrieb eine „Pfeif-Polka“ und die Wiener Brüder Schrammel machten mit dem berühmten Pfeif-Künstler Baron Jean ganze Konzerttourneen.

Nicht zuletzt das Pfeifen in der Literatur: Kurt Tucholsky bedichtete jenen untypischen Typ König, der mit seiner Flöte ganze Königreiche zauberte, in sich und um sich. Was tat er letztlich damit? Er pfiff darauf.

Wegen der Aerosole geht Pfeifen derzeit gar nicht. Aber dank der Damen und Herren in unserem Testzentrum sowie den Impfzentren landauf landab werden wir es bald machen können wie der König: Dann können wir auf die jetzigen Einengungen – pfeifen!

17. Mai 2021