| Johannes, nicht der Evangelist, sondern ein gegenwärtig  munter bei München lebendes Gegenstück zu diesem und mein Schwager, ist am Ende  eines Jahres in St. Andreasberg im Oberharz geboren. Diese „Annerschberger"  waren und sind kleine Pyromanen, nicht nur bekannt für ihre Osterfeuer auf dem  Glockenberg sondern auch für das Feuerwerk zu Silvester. Johannes war immerhin  schon um  die sechs Jahre alt, als er  frustriert wurde und begriff, daß dieser Feuerwerkszauber über dem Talkessel  nicht speziell zu seinem Geburtstag veranstaltet wurde, sondern für auch  diejenigen, die gar keinen Geburtstag hatten. Frustrieren kommt von  frustra, lat.=vergeblich und vergeblich hatte  er etwas fest geglaubt, was sich als Irrtum, als kleiner Betrug erwies.  Irgendjemand von den älteren Brüdern wird es ihm beigepult haben: Das Feuerwerk  ist nur für Dich…vielleicht auch nur eine dieser liebevollen Betrügereien…Eine der größten Betrügereien der Menschheitsgeschichte gab  dem Altjahresabend seinen Namen: Silvester, nach Papst Sylvester I.
 Der hat den an Aussatz erkrankten römischen Kaiser  Constantin geheilt, worauf der sich ebenso schleunigst wie überzeugt taufen  ließ, die bisherigen Christenverfolgungen eilig einstellte und aus Dankbarkeit  für die Heilung dem Christentum den Vorrang vor den anderen Religionen gab, es  zur Staatsreligion erklärte und der Kirche den Lateranspalat in Rom schenkte,  dazu gleich die Umgebung, nämlich die Herrschaft über Rom und noch dazu  Italien. Er war eben sehr dankbar und konnte es sich leisten. Soweit erzählt es  die „Vita Sylvestri", das Leben des Papstes Sylvester, von dem Sonstiges  im  Dunkeln verbleibt.
 Hell wurde es, als sich die besagte „Constantinische  Schenkung" als Betrug erwies.  Den Papst  Sylvester gab es zwar, aber nicht als Heiler bei Constantin, dafür später als  Heiligen. Mit Kaiser Constantins Taufe hatte er nichts zu tun. Der wurde erst  auf seinem endgültigen Totenbett getauft und nicht auf einem Krankenlager (337  nach Christi Geburt).
 700 Jahre lang hatte die Christenheit ähnlich an die  Schenkungsurkunden und Täufer und Heiler Sylvester geglaubt wie Johannes in St.  Andreasberg an sein persönliches Feuerwerk. Der Irrglaube aber ist schon so alt  gewesen, daß wir unserem Altjahresabend den Namen beließen: Silvester und nur  das „y" zu „i" mutierte. |  | Silvester bleibt ein Feier-Abend des Jahres, in dessen Sekt–  und Feuerwerksknaller, Karpfen – und Krapfenessen, Unterhaltungen vom  Bleigießen bis zum Jahresrückblick im Variete` immer noch eine Prise Dunkles,  Schweres hineinragt, das es zu überspielen gilt. In einem Silvester-Liedtext  von 1784 („Des Jahres letzte Stunde" von J.H.Voß) heißt es – zugegeben mit dem  Schwulstausgehender Rokoko-Dichtung, dennoch nicht zu bestreiten:Genießen wir statt des Haderns über all das Schwere  das Vergnügen an den Lichtfarben von   Feuerwerk, genießen wir mindestens die Farben in den Gesichtern unserer  Mitfeiernden nach Punsch und Bowle oder wie Sekt perlendem Selters. Wir  feiern Silvester zum ersten Mal auswärts - in  der Landeshauptstadt auf Einladung unserer Kinder mit Pute, Dinner forOne und  Feuerzangen-Bowle. Und gedenken bei einem Schluck derselben im Zentrum der  größten evangelischen Landeskirche, die es gibt, sogar des Papstes. Sylvester  meine ich.  Ein gutes 2013, auf das wir  an dessen Ende gerne zurückschauen mögen, wünscht Ihr Prof. Hans-Helmut Decker-Voigt.In stetem Wechsel kreiset
 Die flügelschnelle Zeit,
 sie blühet, altert, greiset
 und wird Vergangenheit.
 Kaum stammeln dunkle Schriften
 Auf ihren morschen Grüften,
 und Schönheit, Reichtum, Ehr und Macht
 sinkt mit der Zeit in öde Nacht.
 Selbst der sonst zuversichtliche Erich Kästner ist trübe  gestimmt zu Silvester und hat den Jahresschlußmonat in seinen „13 Monaten"  offenbar nach einem trübsinnigen Blick in den Badezimmerspiegel bedichtet:
 „Das Jahr wird alt. Hat dünne Haar.
 Ist gar nicht sehr gesund.
 Kennt seinen letzten Tag, das Jahr,
 Kennt gar die letzte Stund.
 Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
 Dann dröhnt das Erz und spricht:
 `Das Jahr kennt seinen letzten Tag,
 und du kennst deinen nicht`."
 Traurig, traurig solch Betrug an Johannes, an Papst  Sylvester, am Leben von Erich Kästners Dezember.
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