Für tapfere Kinder…

     

In der Unfallambulanz des Uelzener Klinikums sitzt  an diesem Mittag ein freundlicher Mensch hinter der Rezeption mit einem ähnlich unaussprechlichen Namen wie der Uelzer Wetterfrosch Herr Zakrzewski (Kürzel: Zaki).
„Woloszczok“ steht auf dem Namensschild meines neuen Gegenübers. Sein Name ist ungeeignet für vereinfachende Kürzel wie „Zaki“ vom Wetter ihn führt. Außerdem gehört es sich nicht, Namen abzukürzen. Jedenfalls nicht bei einer Erstbegegnung.
Im rechten Winkel zu Herrn Woloszczok (O Gott, dieses Haken in den Schreibfingern), direkt gegenüber meinem Notfall-Patienten-Notfall-Anmelde-Notstuhl, steht ein Schrank und oben auf diesem steht ein Plastikbehälter, so einer aus dem Büro für DIN A 4. Auf dessen Stirnseite klebt ein Zettel und handgeschrieben  steht da: „Für tapfere Kinder“.
Was ich von dem überstehenden durchsichtigen Plastikbehälter sehe, ist leer. Ich mache Herrn Woloszczok darauf aufmerksam in der Hoffnung, belohnt zu werden für meine Umsicht. Ich könnte ja auch ein Kind sein, das da sitzt.
Herr Woloszczok lächelt und ist ein Menschenkenner. Denn er fragt (Mitgefühl in der Stimme) zurück, ob ich denn gerne etwas davon hätte. Und fügt gleich hinzu (richtige Mit-Trauer im Timbre): „Leider ist alles weg. Wir haben wir so wenig Kinder und denen geben wir dann immer gleich mehr…“
Wieder allein und im Warten auf den Arzt versinkt der Mensch in Nachsinnen oder in Vorsinnen. Ich bevorzuge Nachsinnen: Was, wenn da noch eine Kiste oben auf dem Schrank hervorragen würde. Aufschrift „Für besonders tapfere Patienten“…

Oh, was wäre ich sofort noch tapferer!
 

Ach, was würde ich die Zähne zusammenbeißen und den starken Ritter in mir herauskehren, Prinz Eisenherz und so. Bzw. Prinz Eisenfuß, Eisenhand, Eisenschulter, Eisenschlüsselbein. Oh, was würden wir plötzlich alle Heroen sein und den Blick nicht mal von der eindringenden Nadel für die Blutsenkung senken. Wir würden mannhaft auf jeden Quietscher verzichten, wenn wir uns in röntgen-adäquate Positionen quälen müssten.
Nur – was müsste dann in der Schachtel sein, damit wir (Männer) uns so anstrengen? Das ist es eben: Ich würde enorm tapfer sein, ohne jede Ahnung davon, was ich hinterher aus der Schachtel kriege. Hauptsache Belohnung, egal welche. Dafür tun wir alles. Für Ehre, egal welche, taten unsere Vorfahren schon alles. Manchmal sogar blind.
Die diensthabende Notfall-Ärztin kommt. Sie ist auch so schwierig. Mit dem Namen meine ich. Frau Mikurov. Ansonsten ist sie auch sehr freundlich. Überhaupt, Männer als Patienten auf der Notfallstation: Sie wären tapfer, beherrscht, kooperativ, heroisch stoisch im Schmerz und dankbar für die kleinste Freundlichkeit – wenn es sowohl eine Schachtel da oben gäbe („Für tapfere Patienten“) als auch nur Ärztinnen.
Ich meine das alles nur für männliche Patienten. Bei weiblichen Patienten wäre es eine Studie wert. Ob die vor ihrer Tapferkeit vielleicht doch erst wissen wollen, was da oben in der Schachtel für sie wäre?
Jedenfalls, lieber Herr Woloszcok und liebes Klinikum: Die Schachtel muß sofort nachgefüllt werden. Denn Kinder, die sich während der der Schulzeit verletzen, müssen nicht extra belohnt werden. Die bekommen so was wie Hitzefrei, Unterrichtsausfall. Aber verletzte Kinder in den jetzt beginnenden großen Ferien – das verlangt Tapferkeit und braucht volle Schachteln.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
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