Erregungskurven

     

Erregungskurven hängen nicht – jedenfalls nicht nur - mit geschriebener Erotik oder gar Pornographie zusammen (in deren Nähe mich kürzlich die Rezension meiner neuen Liebesgeschichten rückte). Erregungskurven werden auch vom Christkind ausgelöst, das nun nicht mehr vor der Tür steht, sondern hinter uns.Genauer: Erregungskurven lassen sich Hl. Abend bei den Reaktionen der Beschenkten auf das Geschenk studieren.

Christine z.B. reagierte auf den kleinen Berg von Thomas Mann auf CD`s (erst von ihr gewünscht, dann verwünscht als sie den Preis hörte) wie sie auch sonst reagiert auf Überraschendes: „Oh – also doch.“ Dann dreht und wendet sie ein Geschenk hin und her, küsst den Schenkenden und sagt sehr freundlich: „Danke – das freut mich sehr!“ Psychologisch heißt das „konstant-niedrige Erregungskurve (oder auch „Erregungsniveau“. D.h. Christine verhält sich bei ganz kleinen Sensationen ähnlich wie bei ganz großen.

Tante Ulrike hingegen schlug Hl.Abend die Hände erst vor den Mund, um dann aber doch dahinter ihr Jauchzen zu starten, indem sieaus schwindelerregender Höhe ihres leicht schrillen Alte-Damen-Soprans ein begeistertes „Jaaa – wie schööön!“ mit dem Ausatmen ganz nach unten begleitet. Etwa 2- 3 Mal. Diese Erregungskurve wird als „konstant hohe Erregungskurve“ diagnostiziert und meint, die Tante Ulrikes dieser Welt stehen immerzu unter Dampf. Das Interessante an Tante Ulrikes hoher Erregungskurve an jedem Hl. Abend ist, daß sie an jedem Hl. Abend ihr Wunschgeschenk, ein Buch „Mit der Bibel durch das Jahr“ in immer derselben Aufmachung des Verlags kriegt, Tante Ulrike also eigentlich den Überraschungswert ihres Geschenks seit Jahren kennt.

 

Tante Ulrike ist eine Tochter meiner Großmutter und die wiederum reagierte nicht so einseitig. Großmutter hielt (nur) eine Hand vor den Mund, rief dann ein einzelnes kurzes ungläubiges „Nein!“ und kippte dann in eine vorwurfsvolle Sprechstimme ab: „Aber Kinder – das sollt Ihr doch nicht. Viel zu teuer in dieser Zeit!“ (Es gab für sie immer nur teure Zeiten). Die Diagnostik spricht dann von „breitspektraler Erregungskurve“, also so was wie von Null auf Hundert, aber eben auch umgekehrt.

Der Schenkende ist manchmal überrascht über die Diskrepanzen: Auf Teures, total Überraschendes, heiß Gewünschtes wird enttäuschend niedrigkurvig reagiert. „Du freust dich gar nicht richtig,“ reagiert dann der Schenkende. Das aber, korrigiert Christine ruhig, stimme so nicht. Und tatsächlich: Manche laut-und gestisch ekstatisch sich freuende Beschenkte – tauschen am ersten Geschäftsalltag alles wieder um.

Ich? Ich zeige keine Erregungskurven. Ich studiere sie. Erregungskurven oder -konturen werden übrigens in uns geprägt, wenn wir Säuglinge sind und unsere Eltern mit uns úmgehen. Deren „Jaaaa`s“ und „Neiiiin`s“, „Oh`s“ und „Ah`s“ erben wir sozusagen und die anderen hören unsere elterlichen Erregungskurven dann jeden Hl. Abend. Bei negativen Ereignissen sind sie ebenso zu hören, unsere Erregungskurven. Und – natürlich – auch in der Liebe (jeder Art!), von der ich Ihnen, liebe Kolumnen-Leser, ganz doll ganz viel im Neuen Jahr wünsche!




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
29. Dezember 2009