Die (Werbe-) Zeichnung vor mir zeigt den Stall, die Krippe
samt Hl. Familie drumherum und in einer Reihe die Hirten. Der
letzte Hirte hält den Kopf ganz komisch, nämlich seitwärts,
weg vom süßen Knaben im lockigen Haar. Der Grund:
Er hält sein Handy an das Ohr
klein darunter die Handy-Firma
mit dem Slogan "Überall erreichbar".
Nichts gegen Handys. Schließlich gehören auch sie
zum Schöpfungsplan Gottes, Abteilung irdische Hochtechnologie.
Und schließlich werden wir ohne Handy nicht unter der
Schnee-Lawine gefunden, in die wir nach dem Fest gleich mit
dem Handy fahren.
Erreichbarkeit ist Trumpf, an jedem Ort, zwischen Klo und Konzert.
Womit ich bei der Kerngeschichte bin: Einer jener Situationen,
die durch ein einsam bimmelndes Handy zum Trauma wurden. Jener
Handy-Besitzer erlitt dies Trauma, dessen Handy in einer der
ersten diesjährigen Aufführungen von Johann Sebastian
Bachs Weihnachtsoratorium Furore machte. Über 1000 Leute
waren geströmt und (für über 60 Euro pro billigster
Karte) in ihre erste tranceartige Weihnachts-Andacht gefallen,
als der angebetete Star-Dirigent den Einsatz für die noch
angebetetere Altistin und ihre Arie "Schlafe mein Liebster,
genieße der Ruh
" gab. Und diese Arie planungsgemäß
dem süßesten Schlafgesang für den Knaben im
lockigen Haar in der Philharmonie die Schwingung für Töne
und Seele verlieh. Es war beim Pianoschritt des vibrierenden
"c" zum tieferen "h" - da geschah es: Sein
Handy bimmelte. Ebenso einsam wie laut und als Klingelmelodie
zog sich die Melodie von Beethovens "Für Elise"
in die erstarrten Seelen.
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Der am Christkind und nicht an Elise orientierte Saal verfiel
in kollektive Lähmung. Der Dirigent fasste sich als erster,
hob erneut den Taktstock und wiederholte, was vor ihm schon
mal ein berühmtes Taktstockgenie in der Münchner Philharmonie
getan hatte: Er drehte sich um und dirigierte weiter. Aber mit
dem Rücken zu Orchester und Solisten, minutenlang dirigierte
er, indem er mit dem Taktstock das Publikum mit seinem Täter
seziert
" Futsch war er, der Genuss, und noch mehr
die Ruhe.
Unsere totale Erreichbarkeit führt inzwischen weg von der
altmodischen einleitenden Festnetz-Telefonfrage: "Wie geht
es dir?" hin zum "Wo bist du?".
Damit wir nicht mitten in der Adrenalin-Ausschüttungsphase
antworten müssen "Im Konzert" oder "In der
entscheidenden Verhandlung" oder "Mitten im Liebesleben"
- braucht es eine Regelung wie in manchen Gottesdiensten des
Wilden Westens: Da mussten alle Cowboys ihre Revolver vorher
in die Regentonne legen. Damit nichts passiert. Hinterher bekamen
sie sie wieder.
Solch eine vorübergehende Enthaltsamkeit brauchen wir bei
der Kommunikationswaffe Handy. Zur Kultur der totalen Erreichbarkeit
sollten wir uns eine Kultur der Unerreichbarkeit schenken.
Denn was sollte der Hirte an der Krippe Jesu in jener Handy-Werbung
antworten? "Tut mir leid, bin gerade in der Anbetung
"?
Solch Schreckensphantasie hatten und haben die Kirchen in Angst
um ihre letzten Rituale schon länger. Nur umgekehrt ist
es nach einem alten Jesuitenwitz erlaubt. Beim langweiligen
Telefonat zu beten
oder beim Rauchen
oder beim guten
Schluck
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