Räuber in der Klosterkirche

     

Es passierte im Gottesdienst in Medingen, der natürlich auch ohne Neujahrsempfang durch den Klosterkonvent stattgefunden hätte. Aber mit Neujahrsempfang war die schöne Kirche epiphanesk feierlicher durch die festlich gekleideten Äbtissinnen, die Priorin, die weiteren Damen des Konvents. Äbtissinnen im Plural: Die ganz neue, die von eben noch und die von früher, alle aufeinander aufbauend in der Vielfalt der Einheit eines Klosterkonvents.  Allesamt das, was männliche Kenner wie Marc Aurel über Theodor Fontane bis Johannes dem 23. als "Frauenpersönlichkeiten" bezeichneten.  Feierlich war es  durch die hohen Gäste der Frauenpersönlichkeiten aus Klosterkammer, Kreishaus, Rathaus – na, eben ein gefundenes Fressen für Räuber.
Die Pastorin kündigte sie an, die Räuber zwischen 6 und 12 Jahren, ebenso erfolgreich trainiert auf Böses durch Gesine Knappe, die Leiterin der Uelzener Singschule, wie sie auch die Guten trainiert hatte als Gegengewicht und alle, Gute und Böse, am Keyboard mit Swing und Schwung begleitete. Ein guter Teil der Predigt wurde nun gespielt, einschließlich Klettern bis hinauf in Fenstersimse.
Heiterkeit und Elternstolz wegen des Sing-Spiels? Weit mehr: Was da im Spiel gestaltet wurde,ist positives Modell für gleich mehrere Aufgaben:

 
  1. Solch Spiel fügt liebgewonnen Strukturen im vertrauten Ablauf eines Rituals (hier: Gottesdienst) etwas Wichtiges hinzu: Eine Überraschung. Für uns überraschte Besucher macht unsere Wachheit – in Medingen ohnehin präsent – Karriere und wird spontane Neugier. Man will sehen, vergißt mögliches Gesehenwerden-Wollen oder Gesehenwerden-Müssen (Politiker).
  2. Überrascht sind auch die, die überraschen: Daß solch kreatives Spiel in einen Gottesdienst integriert werden kann. Kinder erfahren so Kirche nicht als Spielplatz, aber als Platz, in dem Spiel wichtige Rolle spielt.
  3. RednerInnen (hier die Pastorin) können wunderbar anläßlich von Spielen um Böse und Gut ihre Reden darauf aufbauen, weil Reflexion nach einer Veranschaulichungviel tiefer geht.Kleine Spiele zum Aufwärmen von Seele und Körper ziehen inzwischen auch vermehrt ein in Hörsäle von Professoren, in Konferenzen und Gesellschafterversammlungen (z.B. bei IKEA, Otto Versand u.a.), in Krankenhäuser (Clowns, Patientenchöre).
  4. Nicht zuletzt lohnt es sich, anläßlich des Spiels in Medingen über das Nebeneinander von Gut und Böse außerhalb dieses Spiels nachzudenken. In Medingen wurde das Böse in das Gute integriert und steuerbar (das Wünschenswerte und Machbare für uns Menschen).Wer hingegen sein Sein als Heiliger ohne Böses anstrebt, wird leicht ein Schein-Heiliger. Oder: Nicht nur in den Guten steckt ein böser Kern,  im schlimmsten Räuber steckt noch ein guter Kern. In den Medinger Klosterkirchen-Räubern fast nur solche.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
29. Januar 2013