Gratulation für Wahlverlierer

     
Auf einer Beerdigung trafen wir einen Kandidaten für unseren Landtag. "Ach, mulmig ist mir schon…" meinte er beim Leichen-Kaffee hinterher. Er meinte nicht den Tod unseres gemeinsamen Bekannten. Er meinte auch nicht sein mögliches Verlieren der Wahl. Er meinte seinen möglichen Sieg. "Sie wissen ja, diese andere Welt als Berufspolitiker kenne ich noch nicht…gefährlich und gefährdend, verführerisch und verführend. Ich muß erst lernen, mit Macht und Medien umzugehen…"
Ich sprach ihm mein Beileid aus für den Fall, dass er gewählt würde.
Auf dem Gang in der Lüneburger Klinik eilte mir der Kandidat einer ganz anderen Partei entgegen, nicht krank, sondern um seine Mutter (Oberschenkelhalsbruch) zu besuchen.
"Ach," jammerte er, "ausgerechnet jetzt im Wahlkampf muss sie stürzen!" Ich kenne seine forsche Mutter und weiß, dass sie jetzt weniger über den Bruch jammert als ihr wahlkämpfender Sohn. "Und was, wenn sich dann erst die Spirale weiter dreht," stöhnte der Kandidat, "wenn sie nicht mehr allein wohnen kann, Pflegedienst ins Haus muß, dann ins Heim muß, unser Haus aufgelöst werden muß und all das - und ich dann im Landtag sitze - nicht auszudenken!Und ich bin einziges Kind." Auch ihn beruhigte ich so schlecht ich konnte, weil es nichts zu beruhigen gab.
Ich traf einen dritten Kandidaten für unseren Landtag. Eine Frau aus einem Agrar-Landkreis wie unserem. Ich traf sie in der Ambulanz einer Psychiatrie (nein, auch nicht als Patientin), wo sie sich nach den Arbeits - und
  Lebensbedingungen von Helfern und Patienten erkundigte. Um diese für den Fall der Wahl zu verbessern. Ich kenne sie flüchtig, aber ausreichend, um sie ebenso besorgt wie bewundernd zu fragen, wie sie das nur alles unter einen Hut bringen wolle (Wahlsieg vorausgesetzt): Mandat, den Gatten, ihre kleine Firma, die zwei Kinder und eine Tante, die im Anbau lebt und auch mürbe Oberschenkelhalsknochen hat. Ich kenne die Kandidatin schon als Studentin. Da war sie schon politisch aktiv. Allerdings ganz woanders als heute.
"Wieso?" fragte die Kandidatin zurück? "Jetzt ist beste Zeit für meine Politik: Kinder frisch aus dem Haus, Mann mindestens sechs Monate im Jahr auf Montage im Ausland, die Firma macht meine Schwester, die Tante hilft mit beim Wahlkampf: Briefmarken auf persönliche Briefe kleben. Dankbriefe an meine Wahlhelfer - egal wie`s ausgeht!" Auch sie eilte, davon nämlich. Doch sie drehte sich noch einmal um, rief mir einen Gruß an Christine zu und dass ich ihr die Daumen drücken solle.
Habe ich getan.
Vorgestern sind sie alle gewählt worden. Wobei einige auch so gewählt wurden, dass sie eben nicht gewählt wurden.
Gratulieren wir ihnen. Denen, die soviel Sorge vor ihrem Mandat hatten, dass sie es nicht antreten müssen. Und denen, die sich wirklich darauf freuten, uns mit Freude und Zuversicht im Parlament zu vertreten. Uns - den Souverän.



Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
29. Januar 2008