Weltkulturerbe Uelzen

     
"Uelzen sollte es sein," stöhnte Onkel Rudi nach seiner Rückkehr von der Pilgerfahrt zum Mont St. Michel in der Normandie, "Uelzen sollte Weltkulturerbe sein - nicht dieser Klosterberg mit seinen Massen von Banausen!"
"Du sprichst von einem christlichen Zentrum des Abendlandes," fauchte Tante Uschi über den Kaffeetisch, "Weltkulturerbe, älter als der Vatikan! Das mit Uelzen - nicht gerade geistreich!"
Onkel Rudi hat in der Familie immer schon einen Sonderstatus. Er hat Geld. Außerdem ist er bei uns unter lauter Evangelischen katholisch.
"Ich mache in Gerüstbau. Einrüsten - Kirchtürme, Klöster und so, da ist man schön einsam mit sich," so hatte er sich vor 35 Jahren in der Großfamilie vorgestellt und Tante Uschi, gerade noch jung, aber schon zickig, hatte ihn genommen, wie er so hoch auf dem Gerüst um den Kirchturm ihres Vaters herumturnte, da oben seine Muskeln und unten sein Geld spielen ließ (Opel Kapitän mit Weißwandreifen). Fürs Einrüsten musste man nicht evangelisch sein.
Onkel Rudi liebt nicht nur Tante Uschi sondern überhaupt die Frauen. Außerdem liebt er Gourmet-Clubs und Havannas. Er haßt das Spielgeschrei von Kindern, weswegen ihm Tante Uschi erst gar keine schenkte. Er verabscheut größere Ansammlungen von Menschen, die schwitzen und auch laut sein könnten. Denn er war längst ein bisschen elitär geworden. Folge seiner Arbeit in der Höhe. Wenngleich auf den Gerüsten seiner inzwischen vier Tochterfirmen längst nur noch seine Leute standen, nie mehr er. Er flog zu neuen Gourmet-Clubs
 

und kriegte seit 20 Jahren eine Karte für Bayreuth (Tante Uschi haßt Wagner). So besonders ist unser Onkel Rudi (lediglich eingeheiratet, schärfte man uns ein).

Jetzt hatte er diese Reise auf den St. Michel gebucht, jenem "Zentrum des christlichen Abendlandes", wohin alle bedeutenden Katholiken pilgerten und alle anderen auch. "Fortbildung," hatte Onkel Rudi allerdings gesagt, "sehen, wie man so was einrüstet." Erst später hatte Uschi ihn was murmeln hören von "immer auch gut für seelische Läuterung".
"Furchtbar," stöhnte Onkel Rudi jetzt,"dieser St.Michel ist keine Buße, sondern eine Strafe. Tausende von Stufen, kein Fahrstuhl, Hunderttausende von Menschen! Schreiende Kinder im Refektorium, heiserdozierte Touristenführer in der Kirche, pubertierende Rüpelbanden im Klostergang. Schweiß, Geschubse, Geschiebe und nur Schlangen vor den Klos."
"Ihr hier, und Eure Touristen, die mehr als den Bahnof sehen könnten - Ihr wisst gar nicht, wie gut ihrs habt. Die kühlen, ruhigen Kirchen. St. Marien, Eure Klosterkirchen und erst die kleinen Feldsteinkirchen - fast so alt wie diese Massenkultstätte des Tourismus - alles nur für Euch paar Typen!"
"Zzzzz!" machte Tante Uschi lächelnd, als sie die Leiden ihres Mannes anhörte. Dabei hatte sie Schuld. Denn sie hatte den St. Michel letztes Jahr mit einem Pilgerbus besucht. Aber im Winter. Sie hatte man vorher gewarnt: Vor dem Pilgern in der Sommer-Saison, das die Hölle ist.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
28. August 2007