Email, SMS und neue Sprache

     

Die Menschen werden immer länger (früher war ich ideale Mittelgröße mit 1, 72, heute gucke ich gleich bei Begrüßungen der jüngeren Generation steil nach oben) – und  ihre Sprache immer kürzer.
Die nette Frau Lachmann im Vorzimmer des Präsidenten unterschreibt ihre Mails nur noch mit „HG“, soll heißen „Herzlichen Gruß“ (oder meinte sie Plural: Herzliche Grüße? Immerhin ein gradueller Unterschied in der Herzlichkeit).  Das alte „MfG“ als Kürzel für „Mit freundlichen Grüßen“ ist schon so verwelkt, dass es inzwischen nur noch einzelne Emails abschließt. Die meisten schreiben nur noch die Anfangsbuchstaben der Vornamen oder Nachnamen. Sogar meine durchaus mir sehr nahestehende angetraute Geliebte unterschreibt jetzt manchmal mit „LG“. Ist das ein „lieber Gruß“ oder sind es mehrere oder gar der ersehnte  „liebste…“ Gruß? Keine Ahnung mehr.
Aus der Aufbruchszeit in die SMS-Kultur stammt die Abkürzungswut etwa mit „hdgdl“ = hab dich ganz doll lieb oder „dkmm“ = du kannst mich mal.  Solcherlei Sätze, die nicht mehr zu Stichwörtern, nicht zu einzelnen Wörtern,  sondern nur noch zu vereinsamte Buchstaben führen, erinnern eher an Geheimsprache. So lese ich in den Briefen zweier (im 1000 jährigen Reich verbotenen) Freimaurer: „I.S.d.u.h.Z“, was hieß „Im Sinne der uns heiligen Zahl“. Etwas Heiliges, das nicht vom Führer ausging, war eben verboten, sollte nicht entdeckbar sein.

  Die Kultur der Anrede „Sehr geehrter“ oder „Sehr verehrter“ oder „Lieber“ verschwindet durch das „Hallo!“, hinter dem kein Name mehr folgt.
Solch Sprachverkürzungen, Kürzel sparen natürlich viel Zeit. Wie wir überhaupt durch immer mehr Erfindungen immer mehr Zeit sparen (Geschirrspüler, Fliegen statt Autofahren, Googeln und Wikipedia statt Lexikonnachschlagerei, 1 x wöchentlich 30 Minuten Circle-training im Fitnessstudio statt täglicher Radfahrt draußen oder auf dem Trainer). Sagenhaft viel Zeit sparen wir – und haben noch nie so wenig davon gehabt. Jetzt hilft uns vielleicht die Verkürzung, Verknappung, Verstümmelung unserer sterbenden Sprache zu mehr Zeit.
Meine Verwaltungsleiterin hielt mich kürzlich auf dem Flur an. „Sie schreiben immer so eine blumige Sprache“ – eilte fort und ließ mich im Unklaren, ob das heißen sollte, was früher an den ebenfalls bald gestorbenen Telephonzellen stand: „Fass dich kurz!“ Oder ob sie noch mehr Blumensträußchen schriftlich fixierter Art freuen würde in einer öffentlichen Verwaltung. Jedenfalls Onkel Martin (85) schickte heute auch sowas Blumiges, einen Dankbrief für meinen Dankbrief für das Weihnachtsgeschenk. Onkel Martin schreibt handschriftlich Anrede und Ort und klebt wahrscheinlich mit persönlicher Spucke die neueste Briefmarke oben rechts. Wie ich es tue. Persönlich eben. Blumig.


 
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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
28. Januar 2014