Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Weihnachts-Irrtümer

Szene 1: Heiligabendgottesdienst beim entlassenden „O du Fröhliche…“: Wir stehen und ich sehe in der Bank vor mir einen Herrn stehen, dessen rechter Arm ansatzweise im Rhythmus prachtvoller Wellen der Posaunenakkorde zuckt. „O du fröhliche…“ Wahrscheinlich weniger für ihn. Relativ frischer linkshemisphärischer Schlaganfallpatient mit entsprechenden motorischen Störungen, denke ich, und wünsche ihm insgeheim besonders Gutes.

Irrtum: Im Gespräch vor der Kirchentür stellt er sich vor als kerngesunder Gast von Nachbarn. Seine Zuckungen rührten daher, dass er sich einen Wunsch zu Weihnacht erfüllte: Eine Posaune. Und gerade ersten Unterricht bekommt. Bei jedem Posaunenchoral zog er eben den Zug seiner imaginierten Posaune mit. Trockenüben – kein Schlaganfall.

Szene 2: Beim Weihnachtsliedersingen gestern auf einem Dorfplatz zog auch wieder die Familie auf, die mit ihrer Kinderproduktivität die Statistik kinderunfreundlicher Deutscher aufbessert: Das junge Paar hat inzwischen acht Kinder. Und immer dieselbe Mutter mit demselben Mann. Auch jetzt präsentiert die Mutter wieder ihr diesjähriges Neugeborene stolz auf dem Arm und ich gratuliere zu diesem Fast-Christkind. „Nein,“ sagt sie da. „Das ist das Neue von meiner Schwester, die zuhause den Braten vorbereitet. Sie hat erst sechs Stück davon.“

Szene 3: Nochmal Singen und Posaunenchorblasen auf einem Dorf (wir haben halt auch Kultur): Zu dem Singen vor der Haustür würde sogar der Posaunenchor gleich kommen, weil der sowieso nebenan anlässlich des Thoms-Tages bei der Feuerwehr blasen würde.

Irrtum: Die Posaunen kamen erst nicht, weil jemand (nicht aus dem Dorf) keine Lust zum Ortswechsel 50 Meter weiter hatte. („Das war noch nie…“).

Erst paramilitärische Autorität brachte den Chor zur verabredeten Mobilität.

Szene 4: In einer Christmette im Ostkreis war beim Verlesen der Weihnachtsgeschichte hörbar: „Da machte sich auch auf Jesus aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth…“. Der Vorleser hatte es eben unheimlich eilig und ließ das Jesulein innerhalb weniger Eingangswörter zum Erwachsenen reifen und seine Eltern zur Zählung in Bethlehem mitnehmen.

Szene 5: Beim Geschenke-Aussuchen ist Georg in Wuppertal immer sehr personenbezogen: Seine Schwester in der Heide kriegt meist Noten für ihre Geige, die Kinder jahrgangsentsprechendes preisgekröntes Spielzeug mit unauffälligem Lehrcharakter. Und sein Schwager, mit dem er die Liebe zu erotischen Romanen aus dem 17.-19.Jahrhundert teilt, erhält eben einen solchen. Als Reprint oder aus dem Antiquariat. Diesmal war es eine bibliophile Kostbarkeit: Mit entsprechenden kostbaren Stichen darin.

Der Irrtum: Georg (oder seine Frau Ulrike) haben sich beim Einpacken geirrt und so kam das schöne Buch aus dem Päckchen für den 13 jährigen Sohn heraus. (Er durfte es leider nicht behalten).

Letzter Irrtum: Die „Weihnacht“ überhaupt. Denn sie war ursprünglich mitnichten nur die eine heilige Nacht. Vielmehr bezog sich der Begriff fast bis zum Ende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt auf die zwölf Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar.

Daher mein Wunsch für meine Leser: Weiter gute Weih-Nächte und besonders die Weih-Nacht vom 31. auf den 1. Januar!


(27. Dezember 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de