Eine unanständige Geschichte

     

Es gibt Witze, lustige Geschichten, Anekdoten. Erstere sind meist konstruiert, die zweite Sorte schildert Situationen, die dritte – Anekdoten -  sind an reale Personen der Geschichte oder Gegenwart geknüpft. Allesamt dienen der Menschheit zum Lachen. Besonders dann haben alle drei Hochkonjunktur, wenn es ansonsten in der Welt nicht viel zum Lachen gibt.
Unsere Wirtsleute im Allgäu luden uns zum Abschied nach unten ein, in die Küche des klassischen Milchvieh-Betriebs mit Alm, Alpmeister und den Glocken der prämierten Kühe auf dem Flur. Wir tranken Williams Birne aus benachbartem Obstanbau, Wasser aus dem Gebirge und sprachen unter dem Kruzifix in der einen Ecke und der Gottesmutter exakt gegenüber über Trump, über den Wolf, Migranten, Seehofer und die Auflösung letzter moralischer Werte. Man denke nur an den Sex, ohne den kein einziger Filmbeitrag mehr auskomme. Höchstens das Wort zum Sonntag.
Da sagte unser Wirt überraschend, er möchte eine Geschichte erzählen, eine unanständige und begann, bevor seine Frau, unsere Wirtin, protestieren konnte.

Als junger Mann sei er bis nach Hannover runtergekommen, auf eine landwirtschaftliche Ausstellung. „Da sind wir denn, wir waren vier, auch in das Freudenhaus gegangen, gleich nah bei unserer Pension. Zweimal waren wir da, nein, drei Mal, vielleicht auch vier, nein eher drei. Egal – jedenfalls kannte unsere Pensionswirtin die Chefin des Freudenhauses und so erfuhren wir, was die Damen im Freudenhaus von uns hielten“.
 

„Wann hört denn endlich diese blöde Bauern-Messe auf?“, hatte die Freudenhäuslerin die Pensionswirtin angefahren. „Die wollen nur gucken – und gehen wieder.“
Das ist kein Witz, sondern eine Anekdote, weil sie unserem Wirt passierte.
Wissenschaftlich interessant sind gleich mehrere Perspektiven. Da ist einmal die sprachgeschichtliche Frage, wie es kam, dass der Begriff des Freudenhauses dem des Bordells Platz machte. Religionsphilosophisch wäre die Untersuchung spannend, ob derlei Unbefangenheit des Erzählens von etwas Unanständigem, Sündhaftem im Zusammenhang damit stehen könnte, dass das Land, in dem der Alphof unseres Wirtes steht, ein durch und durch katholisches Land ist. Also eines, von dem Machiavelli schon meinte, dass Sündigen einfacher sei in der unmittelbaren Nähe der Beichtmöglichkeit. Keine langen Schuldgefühle.
Psychologisch hingegen ist für mich am interessantesten, was an der Anekdote unanständig ist, wo doch keinerlei Vollzug der Sünde in jenem Freudenhaus stattfand. Es sei denn, man nimmt es rechtswissenschaftlich und könnte unserem Wirt und seinen drei Kumpanen von damals vorwerfen, dass sie die eigentliche Funktion der Institution Freudenhaus missachtet und darüberhinaus finanziell geschädigt hätten. Eben durch den Nichtvollzug dessen, was eigentlich sündhaft, unanständig sei.

Unsere tiefreligiöse Wirtin sagte nur kopfschüttelnd „Jesses, Maria und Josef“.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
27. November 2018