Unsere Fußballstars sind dringend nötige Nachfolger
von den Göttern unserer Vorfahren. Wir haben sonst keinerlei
Götter mehr, die die Völker dieser Welt derart einschwören
können auf gemeinsamen Jubel, auf nationales "Wir-Gefühl".
Selbst unser Straßenverkehr ist schwarz-rot-gold geworden
und Staus bieten, was wir sonst vermeiden: Ein Fahnenmeer.
Diejenigen von uns Heutigen, die den politischen und christlichen
Göttern unserer Großeltern auch nicht mehr trauen,
finden sich ebenfalls wieder in der
Pazifik-Woge von Begeisterung, ausgelöst und festgemacht
an ihnen: Den Klinsmännern, Ballacks.
Unsere ausländischen Gäste erleben dasselbe: Kein
Königshaus, kein politischer Führer auf Mutter Erde
eint ihre nationale Gruppe so wie diese elf Götter eines
Spiels mit ihrem Ball, der diese Mutter Erde nicht nur symbolisiert.
Sondern dessen Spieler die Kinder der Mutter Erde eint wie nicht
mal ein Papst. Oder ein Olympionike. Oder ein Dalai Lama. Oder
ein Formel 1 - oder Tennis-Weltmeister. Oder eine Mutter Theresa.
Oder ein Hitler. Gegen die sind immer auch mehr gewesen als
gegen Fußball. Perspektiven auf heutigen Fußball
verdrängen Pluralismus, überrollen ein Dagegensein.
Wir überhöhen unsere Fussballer ja auch freiwillig.
"Fußball-Erd-Meister" statt Welt-Meister würde
ja schon reichen. Aber es handelt sich eben um unsere Not, dass
wir Götter umso dringender brauchen, wie sich die alten
nicht bewährten oder neue nicht durchsetzten. Mit Ausnahme
des Gottes "Konsum" - wie der Freizeitforscher Opaschowski
sagt.
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Diese Fußballmeisterschaft verändert sogar
deutsche Frauen, die sich sonst nicht um Männer oder Fußball
kümmern. Und dies, obwohl die Fußball-WM der letzte
Rest reiner absoluter Männerdomäne ist. Wo dürfen
emanzipierte (Frauen-) Gesellschaften noch einer Gruppe zujubeln,
die nur aus Männern besteht - außer bei Fußballmeisterschaften?
Noch dazu Männern, die nach jedem Spielerfolg Dinge machen
dürfen, die Männer sonst nicht tun: Umarmen, begeistert
Übereinanderherfallen, Abküssen
Fußball-Götter wie unser deutscher Kaiser Beckenbauer
werden auch vom Papst empfangen - vom Stellvertreter des christlichen
Gottes. Der Papst wird erst recht Meister der Welt empfangen,
wo er nur Stellvertreter Gottes auf dieser Erden ist. Was würden
wir als Fußballweltmeister ihm als Gastgeschenk im Vatikan
überreichen? Richtig. Einen autographierten Fußball.
Womit wir wieder beim Symbol sind, denn Kaiser und Könige
trugen als Insignie auch nur Rundes in der Hand. Als Zeichen,
dass sie von Gottes Gnaden sind. Fußballer stehen darüber:
Sie verschenken als von uns ernannte Meister der Welt ihre ja
nur irdische Insignie.
Unsere Fußballstars sind die letzten Meister des Runden,
also dieser Erde. Deshalb schaffen sie, was keine Politik, keine
Pädagogik, keine Psychotherapie seit 1945 und schon gar
nicht die Wiedervereinigung schafften: Ein neues nationales
Wir-Gefühl.
Vielleicht beneiden wir nach dieser WM die Skandinavier oder
Schweizer nicht mehr um ihre Unbefangenheit, ihr ungebrochenes
nationales "Wir-Gefühl", mit dem sie ihre Nationalfähnchen
vor jedem Wochenendhaus hissen.
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