Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Neue Raucher-Kultur

Seit einigen Wochen raucht Alexander deutlich mehr als sonst. Er ist nicht Gewohnheitsraucher, nicht Abhängigkeitsraucher, geschweige Suchtraucher. Er gehört seit Jahrzehnten zu den Genußrauchern: Nur in der kostbaren freien Zeit. Als Belohnung für das Getane – erst dann kramt Alexander seine Rauchutensilien aus und verzaubert Kinder und andere Erwachsene mit seinem Ritual, in dem er seine ererbte Bernsteinspitze, den Brasiltabak seiner kleinen Zigarillos, die Streichhölzer und die Ringe in wirkungsvolle Reihenfolge bringt. Ringe, die er in die Luft raucht und dazu einlädt, Tiger und andere Viecher dadurch springen zu lassen. Kinder lassen ihre gedachten oder Stofftiere springen, Eltern schütteln den Kopf, Großeltern lachen und lassen Frösche und Mücken durch Alexanders Rauchringe springen.

Doch während die nichtrauchenden Europäer, speziell derzeit wir gesetzessüchtigen Deutschen, die Gesetzesvorbereitungen zum Schutz der Nichtraucher mit Erleichterung oder Genugtuung, mit Triumph oder Schadenfreude lesen, hören, sehen dürfen und sich (mit Recht) ab Herbst rauchfrei und Raucherfrei wieder kerngesund fühlen dürfen – müssen die Alexanders dieser Welt das alles lesen, hören, sehen. Ob sie wollen oder nicht.

„Kriminalisiert fühle ich mich,“ vertraute Alexander mir jetzt an und weiter, dass er ganz unerwachsen auf die öffentliche Vertreibung und Ausgrenzung der Raucher reagiere: Er raucht neuerlich neben den zwei-drei Zigarillos zum Genuß ein-zwei weitere. Aus Trotz.

Stimmt. Denn stell ein Verbotsschild am Teich auf: „Angeln verboten“ – und sofort schwindet der Fischbestand. Mit dem Rauchen ist es schlimmer:


Die Verbotsschilder nützten nichts, die Todesdrohungen auf den Packungen produzierten nur noch mehr Trotz und damit Todessehnsucht. Jetzt eben die Gesetze. Dabei geht die bisherige Rauchkultur nur zurück. Wenn es denn Kultur war und ist wie bei Alexander, der eben bisher nur Genußraucher war, kein Gewohnheitsraucher, nicht mal Abhängigkeitsraucher, geschweige…na ja, siehe oben. Rauchkultur geht nur dorthin zurück, wo sie mal geschichtlich herkam: In spezielle Räume. Onkel Ernst hatte so einen Raum in Wolfenbüttel: „Herrenzimmer“ hieß der und war streng abgetrennt vom Speisezimmer. Und bei Großvater rauchte man nur in seinem Amtszimmer oder im Pfarrgarten hinten beim Flieder. Und auch Friedrichs des Großen Papa qualmte auch nur abgetrennt in seinem „Tabac-Colloquium“.

Ich rauche auch. Auch Zigarillos. Auch nur zum Genuß und nicht aus Gewohnheit oder gar Abhängigkeit oder gar – na ja, siehe oben. Aber ich rauche weiter öffentlich, an einem für alle sichtbaren Ort, wohin ich Alexander jetzt mitnehme. Der Ort ist in der Feldmark zwischen Bode und Brockhöfe. Da treffe ich sicher bald wieder Nachbar Conrad Schulte . (Landwirt) und Herrn Hans - G. Seidenkranz (pensionierter Schulleiter). Da haben wir unser Tabak-Kollegium und für Regen oder Kälte eine Raucher-Kneipe direkt daneben auf vier Geländewagen-Rädern mitsamt Zapfhahn in Flaschenform. Da kann uns keiner, denn die ganze Feldmark gehört dem Nachbarn von meinem Nachbarn. Und sogar unsere Frauen kommen mit zu diesem Stelldichein. Alle Nichtraucherinnen, aber Liebhaberinnen genußfähiger Männer. Dort wird Alexander wird weniger Trotzstengel rauchen. Weil er darf.

 

(27. März 2007)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de