Eleganz

     

Der Monat November ist düster, selbst an Sonnentagen. Er ist voller Gedenktage und manche von diesen Tagen dienen der Trauerarbeit um Menschen (Volkstrauertag, Allerseelen, Totensonntag…). Und weniger bewußt dient er dem Abschied von der Wärme des Sommers, von den Farben des Herbstes und dem Abschied des sich demnächst rundenden Kalenderjahres. Alle Jahre wieder.
„Soviel Trauriges gleiche ich aus mit Elegantem,“ belehrte uns Kathi. „Im November kaufe ich mir was Schickes, Seltenes, etwas Elegantes.“
Kathi ist mitnichten Gattin eines erfolgreichen Unternehmers oder selbst unternehmend oder Erbin. Sie ist Lehrerin, aber kauft jetzt eine Orchidee statt heimischen Blumen. Sie kauft eine Weste aus wertvoller irischer Wolle mit einem eleganten Shawl, der auch als Gürtel dienen kann. Kathi kocht im November weniger, aber erlesener. Und deckt den Tisch – eleganter als in weniger traurigen Monaten - mit Stoffservietten und Serviettenhaltern (Sterling Silber, geerbt).
Eleganz, um Trauriges zuzudecken? Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sah „Eleganz“als entstanden aus Nöten, als Ausgleich zu diesen heraus. Und er selbst war ja wahrlich kein Apoll im Outfit, dafür im Denken.

 

Sofort fiel sie mir ein. Eine meiner Professorinnen, pechschwarzer Bubihaarschnitt, die ihre Traumfigur noch mit schwarzem Hosenanzug unterstrich und zudem einen schwarzen Gehstock mit Silberstock als auffälligstem Accessoire „trug“. Erst später hörten wir, dass sie als Kind Polio hatte und das leichte Nachschleifen ihres rechten, ein bißchen verkürzten Beines mit dem Stock ausglich. Auf den guckten wir und auf die Figur, nicht auf ihre Art des Gehens.
Eleganz ist offenbar wirklich (manchmal) dazu da, etwas zu verbergen.
Danach fiel mir ein, wo im Celler Schloß – lange Zeit vor seiner Renovierung -die teuersten Gemäldeschinken hingen: Über den Wasserflecken in der Wand, über Löchern, über Rissen.Und richtig, dasselbe verriet uns Hella von der Wense, die letzte private Bewohnerin von Schloß Holdenstedt, als dieses noch im Besitz der Familie war, die es baute. Viele Bilder sollen weniger was zeigen, als verbergen. Wie die Schönheitspflästerchen im Rokoko-Zeitalter - sie deckten Pickel zu…
Neben Eleganz, die Verborgenes ausgleicht, gleicht der traurige November sich auch aus: durch die bunten Narren mit ihrem Fröhlichsein und manche nicht nur grausigen Halloween-Masken.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
25. November 2014