Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Der Kredit des Herrn Adam…

Damit ist schon immer Schlimmes getrieben worden. Mit Geld im Gottesdienst. Siehe die endlose Abzockerei im alten Ablasshandel nach dem Motto "Geld geb ich für die vergangene Sünde, Geld geb ich für die nächste…" Jedoch meine neue Erfahrung im Gottesdienst mit Geld: Man kriegt es bei keiner Bank so günstig. Nämlich kostenlos.
Ich saß aus gegebenem Anlass in der heimischen St.Georgskirche und aus demselben gegebenen Anlass saß ich zum ersten Mal ohne Christine hinten. Weil sie aus demselben Anlass vorne war. Und da passierte es: Der Klingelbeutel näherte sich und mich flog eine Ahnung an, die sich in Gewissheit wandelte je näher der Klingelbeutel durch die Reihen vor mir ging: Ich hatte keinen Cent bei mir, war mittellos, nackt und bloß. Im Gottesdienst macht Christine immer die Finanzen. Nur außerhalb ich.
Der Klingelbeutel zusammen mit der zugehörigen frisch wiedergewählten Kirchenvorsteherin näherte sich mit der Unvermeidlichkeit, mit der sich unangenehme Geldangelegenheiten dem Menschen ebenso zuverlässig nähern wie die Sünde. Kredite, Schulden fielen mir ein, die kleinen, die ich jetzt gleich wieder machen musste, die großen sowieso.
Der Hanstedter Klingelbeutel klingelt mangels eigener Klingel oder Schelle unangenehmerweise nur, wenn Münze auf Münze schlägt. Noch schlimmer klingelte der Beutel jetzt in meinem Ohr, wenn er nicht klingelte. Weil jemand einen Schein reintat. Unangenehme Gefühle werden rasend schnell zu vorweggenommenen Schuldgefühlen, zu Versagensängsten.


Ich saß neben dem Bürgermeister, der äußerlich wie innerlich ein besonders Vertrauen erweckender Mann war und ist. Zudem trägt er einen nahezu biblischen Namen. Ich flüsterte, ob er mir wohl Geld leihen könnte. Dabei zeigte ich mehrfach schulterzuckend auf Christine da vorne. Solche Gesten wie mein Zeigen auf jemand anderen entlasten übrigens negative Gefühle durch ihren Umlenkungscharakter: Der andere ist schuld.
Der Bürgermeister flüsterte zurück "Wieviel?" und ich sagte "Zwei…zwei Euro". Ehrlich: Ich gebe sonst viel mehr, aber es war schließlich ein Kredit, schlichte Anpumperei. Zu spät fiel mir ein, dass der Sohn meines Bürgermeisters Bankdirektor in Uelzen ist. Und ich war Kunde seiner Bank. Ich hatte also über den Vater abermals Kredit dort aufgenommen, wo ich seit langem eigentlich nur brav zurückzahlte. Ein erster Unterbruch, der bemerkt würde?
Ich ließ meinen Zwei-Euro-Kredit beim Bürgermeister im Klingelbeutel demonstrativ klingeln und ersehnte das Ende des Gottesdienstes. Dann hetzte ich zu Christine, weil der Bürgermeister Anstalten zum Gehen machte und bekam die zwei Euro vom Bürgermeister, nein, für den Bürgermeister von ihr. Genau genommen hat die Kirche selbst meinen Kredit gezahlt, denn Christine ist dort im Chorraum als Amtsträgerin gewesen. So wechselte das Geld nur zwischen Staat und Kirche. Wie meistens heute. Und ich zahlte nichts. Ich trainierte nur mein Über-Ich. Aber wie sich die Zeiten änderten: Früher zahlten die Leute Geld für ihre Sünden. Ich kriege welches dafür. Zinslos. Eine neue Ablasswirtschaft könnte daraus werden: Die Kirche schenkt Geld als Trost für dies Leben. Sie wären wieder voll, die Kirchen, voller als je beim Ablasshandel.

(25. Juli 2006)

Den Autor erreichen Sie unter: Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de